Rheingold
drängten die beiden aus der Halle, während Hagen zum zweiten Mal ins Horn stieß. »Eure Bräute warten. Ihr dürft sie nicht unglücklich machen. Los, los, es ist keine Zeit zu verlieren!«
Die Männer eilten hinunter zum Rhein und liefen den Pfad am Ufer entlang. Auch Gunter gelang es schließlich, seine Tunika richtig herum anzuziehen und den Schwertgürtel umzuschnallen. Aber er hatte ein hochrotes Gesicht, und der Schweiß stand ihm auf der Stirn, während er neben Sigfrid herlief. Sie sahen Hagen auf dem roten Sandsteinfelsen. Er hielt den Wurfspeer in der linken Hand und blickte zur Sonne hinauf, die hinter dunstigen Schleiern hoch am Himmel stand, während die Luft immer drückender und schwüler wurde. Als sie näherkamen, setzte er das alte Auerochsenhorn zum dritten Mal an die Lippen und blies hinein.
Die Männer bildeten einen Halbkreis um den Felsen und schoben Sigfrid und Gunter vor den roten Sandstein. »Was sollen wir jetzt tun?« flüsterte Sigfrid.
»Wir warten auf die Frauen. Sie werden bestimmt bald kommen.« Und wirklich, Krimhild erschien in einem glänzenden rotvioletten Brokatgewand und führte die beiden weißgekleideten Bräute den Pfad entlang. Ihnen folgte der Zug der Frauen, die grüne Zweige und Blumen in den Händen hielten. Auf Brünhilds blonden Haaren lag ein
silberner Reif mit winzigen Pfeilspitzen. Gudruns Reif war aus glattem Gold.
Beiden Frauen fielen die langen Haare offen über die Schultern. Nach diesem Tag, das wußte Sigfrid, würden sie die Haare zu Zöpfen flechten oder aufstecken müssen.
Die Frauen stellten sich den Männern gegenüber und schlossen so den Kreis um den geweihten Stein. Krimhild nahm Gudrun mit der rechten Hand und Brünhild mit der linken und führte sie zu Sigfrid und Gunter.
»Warum habt ihr uns hierher gerufen?« fragte sie Hagen auf dem Felsen. »Droht ein Feind? Ist Krieg?«
»Unsere Feinde bedrohen uns nicht, und es ist nicht die Zeit für Krieg«, antwortete Hagen. »Das Horn erschallt im Frieden. Ich rufe das Volk als Zeugen für die Hochzeit von Gunter, Gebikas Sohn, König der Burgunder, mit Brünhild, Theoderids Tochter, König der Westgoten, und der Hochzeit von Sigfrid, Sigmunds Sohn, dem Drachentöter, aus dem Haus von Alprecht, dem König der Alemannen, mit Gudrun, Gebikas Tochter. Aber Gebika und Sigmund sind tot. Alprecht und Theoderid weilen in ihren Ländern. Sind Verwandte hier als Zeugen der Verlöbnisse, die die Mitgift dieser Jungfrauen beschwören und erklären können, das alles seine Richtigkeit hat?«
»Ich bezeuge die Verlobung meiner Schwester mit Sigfrid, Sigmunds Sohn, und ich werde den Eid halten, den mein Vater Gebika in dieser Sache geschworen hat«, antwortete
Gunter, »Gudrun stiftet den Frieden zwischen den Burgundern und den Alemannen. Als Mitgift gebe ich ihr zwölf Mägde und zwöf Knechte. Ich gebe ihr vierundzwanzig unserer besten Rinder, zweimal zwölf goldene Armringe und zweimal zwölf aus Silber. Das ist mehr, als mein Vater bei der Verlobung versprochen hat. Aber es soll allen sichtbar und kundgetan sein, wie hoch ich meine Schwester schätze.« »Wer spricht für Theoderid?«
Einer der Westgoten, ein gedrungener Mann in einer Tunika mit dem gallischen Karomuster und einem langen graublonden Bart, trat vor. »Ich, Totila, der Sohn des Bruders von Theoderids Mutter, bezeuge, daß Theoderid seine Tochter Brünhild mit Gunter, dem König der Burgunder, verlobt hat. Theoderid schickt als Mitgift vierundzwanzig Längen der feinsten Seide aus dem Süden, vierundvierzig Unzen Silber und achtundvierzig Unzen Gold, geprägt mit dem Siegel des Imperators Valentinian und hundert Flaschen von dem besten gallischen Rotwein. Und so kann ich sagen, es hat seine Richtigkeit, wenn diese beiden jetzt miteinander verheiratet werden.«
»Hat jemand Einwände gegen diese Hochzeit oder weiß, daß Schande die Braut oder den Bräutigam belasten, der trete vor!« Sigfrid sah, wie Brünhild die Zähne zusammenbiß und wie Krimhild erbleichte, als Theoderids Tochter die schmale Hand der alten Frau mit aller Kraft preßte. Sigfrid stellte sich ruhig dem stahlblauen Blick Brünhilds, aber er brauchte
seine ganze Kraft, damit sie stehenblieb und schwieg. Tränen traten ihr schließlich in die Augen, aber sie fügte sich.
Sigfrid fragte sich noch einmal, was er getan hatte, um ihren unmäßigen Zorn und Kummer auszulösen, aber er fand keine Antwort. Wenn sie verheiratet und alles vorbei ist, beruhigte er sich, wird
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