Rheingold
können nicht länger warten. Nehmt eure Waffen mit, denn jetzt muß den Göttern und Geistern geopfert werden!«
Die Männer warteten, bis Krimhild an der Spitze der Frauen zum Rhein hinunterging, dann folgten sie zum geweihten Felsen. Sigfrid fühlte sich seltsam leicht; noch immer sah er Funken in allen Regenbogenfarben, die ihn umtanzten. Dann hörte er den Ruf eines Horns. Es klang zu tief, als daß er es orten konnte, aber so laut, daß die Erde unter seinen Füßen erbebte und ihm ein Schauer über den Rücken lief. Ihm verschwamm alles vor den Augen, als er und Gunter neben ihre Bräute traten. Plötzlich glaubte er, hinter Brünhild die Schwingen eines großen Schwans zu sehen. Sie trug wieder ein Kettenhemd und einen Helm. Ihre Augen leuchteten strahlend blau. Er wußte nicht mehr, welche der Frauen er heiraten sollte. Aber dann hob Krimhild die Hand, und er blickte gehorsam auf Gudrun, die ihn glücklich ansah. Er wußte, sie war ihm das Teuerste auf der Welt, und nichts hätte ihn bewegen können, sie zu verlieren. Sigfrid zuckte zusammen, als das laute Meckern einer Ziege ihn aus seinen Gedanken riß. Auf dem Felsen standen Gunters Männer mit Ziege und Bock, Sau und Eber, Kuh und Stier. Totila hielt einen großen Hammer in der Hand, den er langsam in einem Halbkreis schwang. In der Ferne hörte man Donnergrollen. Schwarze Wolken zogen über den Rhein, und die Luft wurde noch drückender als zuvor.
Krimhild trat vor den Stein und hob die Hände zum Himmel. In der linken Hand hielt sie eine große Holzschale, in der rechten ein Bündel Pinienzweige. »Heilige Götter und Göttinnen, hört uns jetzt!« rief die alte Burgunderkönigin. »Fro Engus und Frowe Hulda, Donar und Sibicho, Tius und Frija. Wir rufen euch alle und die Götter und Geister, die unser Volk begleiten. Hört die Schwüre dieser Paare, schenkt ihnen eure Huld und bewahrt sie vor
Schaden.« Ein Blitz zuckte wie eine Peitsche über den Himmel. Das Gewitter rollte mit lautem Donner über den Rhein. Sigfrid sah, wie die Männer bei den Opfertieren erleichtert aufatmeten. Es war für sie ein gutes Zeichen, daß Donar die Eheschwüre mit Blitz und Donner erhörte.
»Auf welche Klinge schwörst du, Gunter?« fragte Krimhild. »Auf das Schwert meines Vaters Gebika.«
»Auf welche Klinge schwörst du, Sigfrid?« »Auf Gram, das Schwert der Wälsungen.«
»Dann gebt euren Bräuten ihre Ringe auf dem Griff der Schwerter und nehmt eure Ringe ebenso, denn Ring und Schwert sollen eure Schwüre binden.«
Sigfrid zog Gram aus der Scheide und nahm den Drachenring vom Finger, den er Brünhild abgenommen hatte, und legte ihn auf den kalten Kristall im Heft. Vorsichtig hielt er ihn Gudrun hin, die ihn nahm und über den Finger streifte und dann den Ring auf den Schwertgriff legte, den sie mitgebracht hatte. Er war größer als der Ring, den Gunter Sigfrid für Brünhild gegeben hatte, aber er hatte den gleichen breiten Goldreif und ebenfalls einen großen grünen Stein. Sigfrid überlegte, wie Brünhild und Gunter ihre Ringe wohl tauschen mochten, aber er stand mit dem Rücken zu dem anderen Paar, und Gudrun wartete, daß er ihren Ring nahm. Als er ihn über den Finger gestreift hatte, nahm er ihre Hand und legte sie wie seine Hand auf die Klinge.
»Schwört ihr, im Angesicht der Götter und allem Volk, miteinander verheiratet zu sein, euch zu vertrauen und in Frieden zu lieben? Schwört ihr, die Sippen zu ehren, an die ihr euch hiermit bindet?«
»Das schwöre ich«, sagten Sigfrid und Gunter zusammen, und Gudrun und Brünhild wiederholten den Schwur.
»Dann mögen Tius und Donar eure Zeugen sein! Mögen Frija und Frowe Hulda eure Ehen segnen und ihr den Schwur halten. Mögen aus diesen zwei Ehen viele Kinder geboren werden, damit eure Sippen wachsen und gedeihen.«
Krimhild trat zurück und gab Totila ein Zeichen, der den Hammer dreimal in großem Bogen schwang - zuerst über den Köpfen von Gunter und Brünhild, dann über Gudrun, und da er nicht groß genug war, vor Sigfrids Kopf und dann über den gefesselten Opfertieren. »Heiliger Hammer, Leben und Tod bringst du, frei von allem Übel!« rief Totila und sagte dann zu Sigfrid und Gunter: »Jetzt gebt den Göttern diese Gaben, damit sie eure Ehen mit Freude und Fruchtbarkeit segnen.«
Krimhild kauerte neben den Tieren und hielt die Holzschale, als die beiden Bräutigame das Opfer vollzogen. Die ersten schweren Regentropfen fielen vom Himmel, als die Schwerter die Kehlen von Eber und Sau,
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