Rheingold
öffnen sollte, sah er die leuchtende Kraft des Apfels durch seinen Körper in den kleinen Körper seines Sohnes fließen, sie rötete ihn mit der vom Gold glühenden Kraft des Drachenbluts.
Gudrun schrie auf, als der Kopf des Kindes zwischen den Beinen hervorkam. Sigfrid beugte sich langsam und ruhig mit der Kraft der Runen vor, die er gerufen hatte. Er glaubte, die dunklen und gespenstisch leuchtenden Gestalten der Idisen, der Geist-Frauen, zu sehen, die neben ihm standen und seine Hände führten. Er glaubte, die Töchter von Hraidmar zu erkennen. Die weißgekleidete Lingheid stand an seiner rechten Seite und die dunkel gekleidete Lofanheid an seiner linken. Auf seinen Ruf hin waren sie gekommen, um der Frau ihrer Sippe zu helfen, Sigfrids Sohn zu gebären. Hinter den Frauen schienen, weiter als sein Blick reichte, noch sehr viel mehr Gestalten zu stehen. Zusammen nahmen sie das Kind hoch, zogen ihm die blutige Haut der milchigen Fruchtblase vom Kopf und gaben ihm einen sanften Klaps, damit es hustete und schrie, die leuchtend blauen Augen aufschlug und die ungeformte Welt sah. Noch einmal preßte Gudrun, und die Nachgeburt glitt in die fleckige Holzschale, die Sigfrid hielt.
Sigfrids Augen wurden wieder klar, und er kehrte in den Ring von Mittelerde zurück, wo seine Frau auf dem Kissen lag und endlich wieder leichter atmen konnte. Gudruns Haare waren schweißnaß. Sie konnte kaum den Kopf heben, um ihren Mann anzusehen. »Ist er gesund?« flüsterte sie.
Das Kind schrie laut und durchdringend. Sigfrid hielt den Kleinen behutsam an Gudruns Brust. Er schob ihm die Brustwarze mit einem Finger zwischen die Lippen. Der Kleine hustete und spuckte, aber dann begann er gierig zu trinken. »Ja, er ist gesund.«
*
Neun Tage später stand Sigfrid im tiefen Schlamm vor dem geweihten Stein in dem heiligen Hain, wo auch er seinen Namen bekommen hatte. Er blickte nach Osten zu dem blutroten Himmel, wo die Sonne zwischen den Bergen aufging. Zu seiner Linken stand Gudrun mit ihrem Sohn, den sie in weiße Tücher gewickelt hatte. Herwodis und Alprecht waren über den Rhein gekommen, denn Sigfrid hatte sie zu dem Namensfest seines Sohnes eingeladen. Sie standen zu seiner Rechten. Herwodis hielt Alawit, ihren Sohn, auf dem Arm. Alprecht trug ein Horn mit frischem eiskalten Wasser. Vor ihnen bildeten die Gefolgsleute mit ihren Frauen einen Halbkreis um den Stein. Sie hielten bemalte Eier und kleine Kuchen zum Ostarafest in den Händen. Sigfrid rief feierlich:
Wir grüßen die Sonne, die Siegeskönigin!
Wir grüßen das Licht des strahlenden Morgens
Ostara kommt an diesem Tag zu ihrem Fest
Ihr Heiligen hier um diesen geweihten Stein
Ihr Götter und Göttinnen hört mich alle!
Er hob seinen Sohn hoch. Die Sonnenstrahlen fielen hell auf die weißen Tücher und blendeten Sigfrids Augen, als er rief: »Ich, Sigfrid, Sigmunds Sohn, erkläre, daß dies mein Kind und ein Wälsung ist.«
Alprecht hielt das Horn, und Sigfrid tauchte die Finger in das kalte Wasser und betupfte damit die blonden Härchen auf dem Kopf seines Sohnes. Der Säugling begann sofort zu schreien. Sein zorniges Weinen hallte laut durch die kalte Luft. Sigfrid mußte unwillkürlich lächeln, als er weitersprach: »Ich nenne dich Sigmund, der Wälsung, Sigfrids Sohn. Und ich mache dir dieses Geschenk. Du wirst es bekommen, wenn du groß genug bist, um es zu gebrauchen.« Sigfrid setzte seinen Sohn auf den geweihten Stein und zog Gram. Er legte die winzigen Fingerchen auf den Schwertgriff und hielt die Klinge hoch. Gram blitzte in den Sonnenstrahlen; der dunkle und helle Stahl schienen dem Licht entgegenzusteigen. »Das Schwert der Wälsungen soll dein sein und mit ihm alle Kraft der Sippe meines Vaters.«
In diesem Augenblick sah Sigfrid zwei dunkle Flecken vor der rotgoldenen Sonne. Er hörte, wie ein Rabe dem anderen zurief: »Denke daran!«, und der andere krächzte: »Denke daran!«
Gudrun umarmte Sigfrid unter den wohlwollenden Blicken von Herwodis und Alprecht. Seine Leute traten vor und legten ihre bunten Eier und die süßen Kuchen auf den Stein neben seinen Sohn. Hildkar und Olwin, Theobalt , Echmar, Hartbrecht und Adalflad, Gudolind und ihr Sohn Klodwid und alle anderen wünschten Sigfrid Ostaras Segen.
*
Grani galoppierte mit dem Nordwind im Rücken durch den Wald. Braune und gelbe Blätter umwehten Sigfrid und streiften sein Gesicht und das seines Sohnes. Sigfrid hielt Sigmund um die Hüfte, während der Kleine vor ihm im Sattel stand
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