Rheingold
war es noch sehr warm. Die Sonne schien heiß, als sie die Ebene von Worms erreichten. Ohne die roten und gelben Blätter an den Bäumen und das abgefallene Laub hätte Sigfrid mit einem Blick auf den blauen Himmel glauben können, sie seien in einem Land mit ewigem Sommer. Aber das Gras unter Granis Hufen war braun und trocken, die Felder abgeerntet und kahl. Es überraschte ihn nicht, als er sah, wie die Tore von Worms sich öffneten, ohne daß der Hornruf erschallt war. Er wußte, Hagen hatte sie schon von weitem gesehen und Gunter benachrichtigt. Sigmund stand vor ihm auf dem Sattel und streckte den Zeigefinger aus. »Oh, ist das eine große Mauer!« rief er. »Was ist dahinter? Warum ist sie so groß?«
»Weil dort viele, viele Menschen wohnen«, erwiderte Sigfrid und drückte seinen Sohn auf den Sattel, »du wirst sie alle sehen. Nur noch ein wenig Geduld.«
»Nein!« rief Sigmund und stellte sich wieder auf. »Ich will alles sehen ... gleich!«
Sigfrid dachte daran, wie er als Kind nie stillsitzen konnte und neue Dinge unbedingt anfassen wollte. Plötzlich verstand er Alprecht und Herwodis, die ihn gern Regin überlassen hatten. Gunter und Brünhild erwarteten sie am Stadttor mit Hagen und Costbera.
»Willkommen, Sigfrid und Gudrun!« rief Gunter. »Kommt in Freude und bleibt bei uns in Frieden.«
»Danke für den Gruß«, erwiderte Sigfrid, »wir freuen uns, eure Gäste zu sein.«
Die Wagen blieben an der Stadtmauer stehen, Gudrun sprang heraus und umarmte ihre Brüder. Sigfrid stellte fest, daß Gunter dicker geworden war. Brünhilds Bauch wölbte sich leicht gegen ihr hellblaues Gewand. Ein rosa Hauch lag auf ihrer blassen Haut. Sie wich stolz seinem Blick aus, aber er bemerkte, wie sie immer wieder Sigmund betrachtete. Die nie verheilte innere Wunde schmerzte heftig. Sigfrid blickte entschlossen auf Hagen und Costbera. Hagens schwarze Haare hatten silberne Fäden, und die Narbe unter der Augenklappe war dunkelrot, fast violett. Ansonsten schien er unverändert, seit Sigfrid ihn bei der Hochzeit zum letzten Mal gesehen hatte. Costbera stützte sich auf den Arm ihres Mannes. Sie war rundlich, ihr Gesicht schien verbraucht und wie von grauer Asche überzogen. Ein schmaler schwarzhaariger Junge - Hagens Sohn Nibel - stand neben ihnen. Sein Gesicht war ein kleines Ebenbild seines ernsten Vaters. Aber dann hob er den Kopf und lächelte Sigfrid und Sigmund munter an, bevor er Gudrun begrüßte.
Sigfrid saß ab, und sein Sohn sprang in seine Arme. Er stellte den Jungen neben sich und umfaßte zur Begrüßung Gunters Unterarm. »He, Sigfrid, warum hast du so lange gebraucht, um hierher zu kommen?«
»Lange? Dein Bote kam vor wenigen Tagen, und der Mond ist erst in über einer Woche voll.«
»Sigfrid, drei Jahre sind vergangen. Du weißt doch, daß du hier jederzeit willkommen bist.« »Du hast uns nicht eingeladen«, erwiderte Sigfrid und zuckte die Schultern, »aber jetzt sind wir da. Das ist mein Sohn Sigmund. Sigmund, das ist König Gunter, der Bruder deiner Mutter.«
»König Gunter!« rief Sigmund und streckte den Unterarm vor, wie er es bei seinem Vater gesehen hatte.
Gunter beugte sich zu ihm hinunter und umfaßte seinen Arm. »Willkommen, Sigmund. Bei den Göttern, du bist aber stark.« Sigmund strahlte glücklich. Dann blickte er zu Brünhild und dann zu seinem Vater. »Wer ist die schöne Frowe? Ist sie die Schwester meines Vaters?«
Der Burgunderkönig lachte verlegen. »Nein, Sigmund, das ist meine Frau, Königin Brünhild.«
Brünhild lächelte Sigmund an und küßte ihn auf die Wange. »Du siehst deinem Vater sehr ähnlich«, sagte sie zurückhaltend. »Du auch.« »Sigmund, was redest du da«, wies Sigfrid seinen Sohn zurecht, »du kennst Brünhilds Vater nicht.«
Sigmund drehte den Kopf und schien etwas erwidern zu wollen. Aber Sigfrid nahm ihn schnell bei den Schultern und schob ihn zu Hagens Sohn, der still neben seinen Eltern stand, die sich mit Gudrun unterhielten. »Das ist dein Vetter Nibel. Du kannst mit ihm spielen.«
»Das ist aber ein komischer Name«, rief Sigmund kopfschüttelnd, aber er lief zu dem Jungen.
Sigfrid seufzte und richtete sich auf. »Ich hätte nie gedacht, wie anstrengend Kinder sein können.«
Gunter legte den Arm um Brünhilds Hüfte und zog sie an sich. »Hat dir Folker berichtet, daß wir vielleicht bald einen Sohn bekommen werden?«
»Ja, das hat er. Frija segne ihn.«
Dann begrüßte Sigfrid Hagen und Costbera, saß wieder auf, und Gudrun bestieg
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