Rheingold
und mit seinen Fingerchen nach einem Blatt griff und es festhielt. Dann drehte er den Kopf und lachte seinen Vater an.
»Sieh mal!« rief er und warf das Blatt hoch über den Kopf, wo es der Wind erfaßte und schnell davontrug. »Wo fliegt es hin?«
»Über die Berge und weit, weit weg in den Süden bis nach Rom«, antwortete Sigfrid, »und eines Tages wirst du an der Spitze deiner tapferen Krieger auch dahin reiten, und dann wird dir ganz Rom gehören.«
»Und kämpfen?« fragte Sigmund, setzte sich und hüpfte im Sattel auf und ab. »Mit Speeren und Schwertern?«
»Mit Speeren und Schwertern«, bestätigte Sigfrid und fuhr dem Kleinen mit der freien Hand durch die blonden Haare, »du bist jetzt drei Winter alt. Wenn du noch zehn Winter älter bist, dann kannst du als Mann Gram in deiner Hand halten. Die Skops werden Lieder über dich singen, und du hast eine schöne Halle aus Stein. Dort kannst du feiern und deinen Kriegern goldene Ringe schenken.«
»Und einen Drachen töten? Du hast Fafnir getötet.«
»Ja, das stimmt. Aber es gibt nicht mehr viele Drachen auf der Welt. Vielleicht findest du noch einen, wenn du lange genug suchst.«
»Ich will einen Drachen töten!« rief Sigmund glücklich und schlug mit einem imaginären Schwert durch die Luft. »Du wirst einen Drachen töten«, sagte Sigfrid, »aber nicht vom Pferd aus. Als Ritter kämpfst du in der Schlacht... so.« Er nahm seine Hand und zeigte ihm, wie man mit dem Schwert stößt, schlägt und sticht. Mit Stolz stellte er fest, wie stark der Kleine schon war. Er konnte ihn sich bereits groß und kräftig als einen jungen Mann vorstellen mit einem Kettenhemd, den flatternden blonden Haaren und Gram in der Hand, um seine Truppe unter dem Apfelbanner der Wälsungen zu sammeln. »Du kämpfst gegen die Hunnen vom Pferd?«
»Ja, wir bekämpfen die Hunnen vom Pferd.« Die Hunnen waren in den letzten drei Jahren schwierige Nachbarn gewesen. Dreimal erschien ein verzweifelter Bote von Rodger und rief Sigfrid mit seinen Kriegern zur Hilfe.
»Wenn du alt genug bist, wirst du auch gegen die Hunnen kämpfen.«
Sie verließen den Eichenwald und erreichten bald wieder die Straße, die zu Sigfrids Halle in den Bergen führte.
»Sieh mal!« rief Sigmund und deutete in die andere Richtung. »Dort reitet jemand!«
Weiter unten auf der Straße sah Sigfrid einen Mann auf einem Apfelschimmel. Zuerst glaubte er, der Mann sei sehr groß, aber dann bemerkte er, daß er ein kleines Pferd ritt. Der Reiter war noch nicht nahe genug, um sein Gesicht deutlich zu sehen, aber er hatte einen unnatürlich verlängerten Hinterkopf. Es mußte demnach entweder ein Burgunder oder ein Hunne sein. Sigfrid wendete Grani und ritt ihm in vollem Galopp entgegen.
»He, Sigfrid!« rief der Burgunder, als sie näherkamen. Sigfrid kannte die Stimme, und als er sah, daß der Reiter Gunters blonder Skop war, zügelte er Grani und rief zurück: »Sei willkommen!«
»Wer ist das?« fragte Sigmund. »Ein Bote von dem Bruder deiner Mutter«, erwiderte Sigfrid, »und jetzt sei still und brav.« Als der Skop die beiden erreicht hatte, fragte Sigfrid: »Ich hoffe, im Königreich Worms ist alles in Ordnung?«
»Ja, alles ist in Ordnung. Und bei euch? Ist das dein Sohn Sigmund? Er sieht dir ähnlich, aber Sigmund kann doch kaum mehr als drei Winter alt sein?«
»Das ist Sigmund«, bestätigte Sigfrid stolz, »er ist für sein Alter schon sehr groß.«
»Ja, dann wirst du einmal so groß und stark wie dein Vater«, sagte der Skop zu Sigmund. Das Kind nickte eifrig. »Bist du ein Hunne? Du hast so einen komischen Kopf wie die Hunnen, aber du hast andere Haare.«
»Ich bin ein Burgunder«, erwiderte der Mann, »ich bin aus dem Stamm deiner Mutter.« »Meine Mutter hat aber nicht so einen komischen Kopf!« rief Sigmund empört.
»Oh nein«, der Skop lächelte, »nur Krieger haben solche Köpfe, die geformt sind wie die Helme.«
»Ich bin auch ein Krieger!« erklärte der Junge. »Oh ja, das bist du.«
Sigfrid wendete Grani und ritt neben dem Burgunder den Weg hinauf zu seiner Halle. »Was für eine Nachricht führt dich her?« fragte er. »Hat Brünhild ein Kind geboren?«
»Sie hat noch kein Kind, aber es heißt, daß sie vielleicht schwanger ist. Da der König so oft bei ihr schläft... Nach den Gesetzen der Burgunder hätte er sie nach drei Jahren längst als unfruchtbar verstoßen und sich eine andere Braut nehmen können. Aber er liebt sie und will sich nicht von ihr trennen. Jetzt heißt es,
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