Rheingold
Schädel war von einer Axt gespalten. Unter den Toten befanden sich auch Wals' Krieger - viele davon Angehörige und Freunde, mit denen sie aufgewachsen war: Rotwulfs Kopf war beinahe völlig abgeschlagen, Bertnot hatte man den Bauch aufgeschlitzt. Wohin sie auch blickte, sprachen Grauen und qualvolles Leid aus den starren Blicken, und Siglind erfaßte mit jedem Schritt eine noch tiefere Trauer.
Wals' Leiche war von so vielen anderen Toten umgeben, daß man sie kaum sah. Sein zerbrochenes Schwert lag neben ihm. Der alte Berserker Birnir hatte sich mit seinem riesigen Leib auf ihn geworfen. Wals' Todesgriff hatte ihm fast den lila geschwollenen Kopf abgedreht, während er versuchte hatte, sich in Wals' Hals festzubeißen. Die blauen Augen ihres Vaters standen weit offen und starrten in die Wolken. Als sie Wals inmitten seiner gefallenen Feinde sah, hatte sie das Gefühl, die blutige Erde nehme etwas von ihrem Zorn und ihrem Leid in sich auf. Ihr Vater saß bestimmt an diesem Abend neben ihrer Mutter in Walhall. Er war gestorben wie ein Held, und sie durfte seine Festtunika nicht mit Tränen benetzen. Siglind richtete sich zu ihrer ganzen Größe auf und winkte die Männer herbei, die die Toten vom Feld trugen.
»He! Hierher!« rief sie laut und klar über das stille Schlachtfeld, »ich brauche eure Hilfe, und zwar sofort!«
Drei der Männer liefen so schnell sie konnten zu ihr. Doch auch ihnen als Siegern waren die Folgen des Kampfes anzusehen. »Dies war mein Vater Wals«, erklärte Siglind. »Mein Mann hat mir gestattet, seinen Leichnam für den Scheiterhaufen vorzubereiten, wie es sich für einen großen Drichten und Helden ziemt. Agantiwar und Agilar, nehmt den Mann weg, der ihn getötet hat. Awimundur, bring mir soviel Wasser, wie du tragen kannst, denn ich möchte ihn säubern ... nein, geh hinunter zum Schiff, bevor es geplündert wird, und hol mir die beste Tunika in seiner Größe. In diesem Land gibt es kein Gewand, das groß genug für ihn wäre.« Agantiwar und Agilar machten sich sofort daran, Birnir von Wals zu lösen. Awimundur zögerte und sah Siglind mit seinen regengrauen Augen nachdenklich an. Das breite offene Gesicht des Mannes wirkte traurig, als er fragte: »Frowe, weißt du, was unser Drichten für deine Brüder befohlen hat?«
»Ich weiß.«
»Ich will mich nicht dem Willen des Drichten widersetzen«, sagte er leise. »Aber wenn ich noch etwas tun kann, um dein Leid zu mildern, dann werde ich es tun.« Er schwieg. »Mein Bruder wurde von der Familie seiner Frau getötet. Ich habe ihn gerächt... aber ich habe das Leid nie vergessen können. Möge das Bier von Siggeirs Halle nie mit dieser Bitterkeit gebraut werden.«
Siglind sah Awimundur stumm an. Der Mann drehte sich wortlos um und ging hinunter zum Ufer, wo die Männer bereits Wals' Schiff plünderten.
11
DIE WÖLFIN
Sigmund erwachte vom Gestank des Erbrochenen auf seinen Kleidern. Sein Kopf schmerzte unsagbar. Er richtete sich auf und sah alles nur verschwommen. Wann habe ich mich so betrunken, dachte er und mußte sich sofort wieder übergeben. Langsam und bedrükkend kehrte die Erinnerung zurück -der Kampf in Siggeirs Kornfeld, ein Schlag von hinten, der mit voller Wucht seinen Helm getroffen hatte... Sigmund senkte vorsichtig den Kopf, um auf den Boden zu blicken, und hatte dabei das Gefühl, sein Gehirn schwappte wie geschmolzenes Eisen im Schädel herum. An seiner Seite hing die leere Schwertscheide. Seine Hände waren auf den Rücken gefesselt, und die Füße steckten in einem Baumstamm mit Auskerbungen für die Knöchel. Man hatte die beiden Hälften mit armdicken Eisenbändern wieder zusammengepreßt und mit noch dickerem Eisen im felsigen Boden verankert. Sigmund und seine neun Brüder saßen ihrem Alter nach nebeneinander auf einem Baumstamm dahinter. Die Hände hatte man ihnen auf dem Rücken gefesselt. Sigmund begriff, daß er mindestens einen Tag bewußtlos gewesen sein mußte, denn der Fußblock war eigens für Wals' Söhne gebaut worden. Aus dem Holz floß noch immer Saft und klebte an Fußknöcheln und Unterschenkeln. Sigmund stöhnte leise. Hinter ihm ertönte ein näselndes Lachen.
»Bist du wieder bei Bewußtsein, Sigmund?« fragte Siggeir und lief um die Baumstämme herum. »Gut. Wir im Nordland haben ein Sprichwort: Ein Knecht nimmt sofort Rache, ein Feigling nie. Ich mußte einige Zeit warten, aber jetzt habe ich eine angemessene Rache für die Schmach, die du und dein Vater mir bei meiner Hochzeit angetan
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