Rheingold
haben.« Er legte die Hand auf Sigmunds Schwert, das an seinem Gürtel hing. Sigmund sah mit Genugtuung den dicken Verband um Siggeirs Schwertarm.
»Es leben noch Wälsungen«, erwiderte Sigmund mit geschwollenen Lippen, aber seine Worte waren deutlich zu verstehen, »bei der Hochzeit hast du mich nicht herausgefordert, weil du feige warst. Jetzt weiß ich, daß du auch noch ein Folterknecht bist.«
»Dafür könnt ihr euch alle bei eurer Schwester bedanken. Sie hat nüch gebeten, euer Blut nicht selbst zu vergießen. Sie wollte, daß ihr in Regen und Kälte gefesselt im Wald sitzen müßt und allem hilflos ausgeliefert seid, was hier in der Wildnis herumläuft. Bedankt euch bei ihr dafür, daß ihr einen so harten Tod als Gefangene erleidet und keinen schnellen durch das Schwert.« Siggeir lächelte boshaft. »Du lügst!« rief Alfwald. »Das würde Siglind niemals tun!« Siggeirs schmales Gesicht wurde plötzlich ernst. »Ich schwöre bei allen Göttern, ich hätte euch mit dem Schwert getötet, hätte sie mich nicht gebeten, es nicht zu tun. Wenn euch dieses grausame Schicksal als Verrat erscheint, dann sollt ihr wissen, Siglind hat euch diesen Tod bestimmt.« Er lachte spöttisch, drehte sich um und ging davon. Die Wälsungen sahen ihm nach und warfen sich dabei unsichere Blicke zu.
»Siglind hat das nicht gewollt«, wiederholte Alflad leise, »wie wäre das möglich?«
»Sie ist schon lange von zu Hause weg«, sagte Witrik und versuchte, sich auf dem Baumstamm etwas besser einzurichten, »vielleicht hat sie es gut gemeint.«
»Oder sie will uns befreien«, meinte Wulfger, »bestimmt sieht eine Wälsung nicht tatenlos zu, wie ihre Brüder sterben.« Sigmund beugte sich soweit wie möglich vornüber und legte die schmerzende Stirn auf die Knie. Er dachte an die Nacht auf dem Schiff, an Siglinds Warnung und mußte sich eingestehen, daß er ohne sein Schwert etwas von seiner Kraft verloren hatte. Siglind hat bestimmt einen Plan, dachte er, aber Siggeir ist kein Dummkopf. Vermutlich hat er in der Nähe eine Wache aufgestellt. Vielleicht wird Siglind von ihm gefangengehalten und ihre Hoffnung, uns zu befreien, hat sich schnell zerschlagen... Wellen der Übelkeit überkamen Sigmund. Er atmete schwer und schloß benommen die Augen. Bald sank er in einen gequälten, unruhigen Schlaf, aus dem er von den Schmerzen im Rücken und in den gefesselten Gliedern hin und wieder halb erwachte, während das graue Licht am Himmel langsam verblaßte, und es dunkel wurde.
Es war tiefe Nacht, als er plötzlich aufschreckte. Er war sofort hellwach. Zuerst bemerkte er keine Gefahr. Dann hörte er am anderen Ende des Baumstamms ein leises, gespenstisches Knurren, bei dem ihm ein kalter Schauer über den Rücken lief. Er richtete sich auf und reckte und drehte sich, um seine Brüder zu sehen. Dabei entdeckte er eine graue Gestalt zwischen den Bäumen. Sie schien zu kriechen oder eher zu schweben. Der riesige hagere Wolf knurrte. Es war ein unwirklicher Laut, der Sigmund am ganzen Leib erzittern ließ. Er spannte die Muskeln an, drückte die Beine gegen das Holz und zerrte mit aller Kraft an den Handfesseln. Seine Brüder begriffen, was er wollte, und taten es ihm nach, aber der ausgehöhlte Eichenstamm war fest wie Stein und so tief im Felsboden befestigt, daß selbst die Kraft aller Söhne von Wals ihn nicht bewegen konnte. Der Wolf näherte sich lautlos. Seine Pfoten verschwanden im dichten Dunst, der über dem Boden hing. Er drehte den Kopf und starrte mit heraushängender Zunge zu Sigmund hinüber. Er fletschte die Zähne und knurrte wieder. Flüchtig glaubte Sigmund, dem nach der Anstrengung wieder übel wurde und alles vor den Augen verschwamm, er könne durch die Bestie hindurchsehen, als sei sie nur ein Gespenst. Der Wolf duckte sich in den Nebel am Boden und sprang Alfward an die Kehle. Sein letztes Wort: »Sig...« erstarb im Blut, als der Wolf knurrend und fauchend zu fressen begann. Sigmund schrie in ohnmächtiger Wut auf und trat gegen das harte Holz; Bertwini wand sich und fluchte, und alle anderen schrien aus Leibeskräften, als wollten sie damit den Wolf vertreiben. Aber er knurrte nur tief aus der Kehle und wirkte auf Sigmund plötzlich erschreckend wirklich, während er den Leib seines jüngsten Bruders zerfetzte und verschlang. Als der Wolf genug hatte, reckte er sich, trottete davon und verschwand im dichten Nebel. Die Wälsungen verfluchten die Bestie und schluchzten und schrien vor ohnmächtiger Qual. Alfwalds
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