Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
wechseln könne. So gesehen war Olander nicht nur ein fahlhäutiger Picabia, sondern auch einer, der die Möglichkeiten eines runden Kopfes ignorierte. Sein Denken ging ganz offensichtlich in die immer gleiche zwanghafte Richtung.
Doch worin diese Zwanghaftigkeit bestand und aus welchem Grund Olander nach Hiltroff gekommen war, blieb vorerst sein Geheimnis. Olander sprach wenig, nur das nötigste. Und nie etwas Persönliches. Wenn andere Gäste ihn anredeten, so gab er unverbindliche Antworten. Politik, Sport, der übliche Klatsch, das alles schien ihn nicht groß zu interessieren. Wobei er sich aber selten abweisend verhielt, eher abwesend. Die Leute empfanden ihn als einen Spinner. Aber als einen Spinner mit Geld, immerhin konnte er es sich leisten, ohne einer sichtbaren Arbeit nachzugehen, seit drei Jahren in Hiltroff herumzuhängen, ein Hotelzimmer zu bezahlen, seine tägliche Zeche im POW! sowie einen bereits historisch zu nennenden Sportwagen vor der Türe stehen zu haben, den er selten benutzte, bloß stundenweise in der nahen Umgebung herumfuhr, ausgesprochen langsam, auch in solchen Momenten eine Zielscheibe abgebend.
Die symbiotische Beziehung zwischen dem Wirt und seinem Gast ergab sich nun aus der Einfachheit der Handlungen. Job Grong und Vinzent Olander waren vom ersten Augenblick, da sie sich begegnet waren, eine kommentarlose Zweckgemeinschaft eingegangen, in der sich der eine auf das Einschenken der Gläser und der andere auf das Leeren und Bezahlen dieser Gläser beschränkte. Das ist alles andere als selbstverständlich. In vielen Fällen ist der Kontakt zwischen Wirt und Gast stark von Nebensächlichkeiten oder Ablenkungen belastet, von politischen Debatten, von Wehleidigkeiten, von Unzufriedenheit, von Schnüffeleien. Job Grong aber schnüffelte nicht, und Vinzent Olander ging bei aller Traurigkeit, die ihm anhing, niemals soweit, seinen Wirt damit belästigen zu wollen, was für ein armes Schwein er sei et cetera. Während eigentlich die meisten der anderen Gäste, die ins POW! kamen und so gut wie immer Einheimische waren, sich ständig in irgendeiner Jammerei oder Klage verloren. Auch darüber, daß es im POW! keine Fußballübertragungen gab, nicht einmal Musik, auch keinen Spielautomaten. Dafür aber einige Zeitungen, die jedoch selten jemand zur Hand nahm. Und es gab einen Lichtenstein. Einen Roy Lichtenstein. Sprich, es gab ein Bild des amerikanischen Popart-Künstlers, welches neben der kleinen, geradezu improvisiert anmutenden, aus alten, furnierten Regalen gezimmerten Bar hing. Vor dieser Bar hatten gerade mal drei Hocker Platz. Die Spirituosen standen in zwei gläsernen, an die Rückwand geschraubten Küchenschränken, die innen mit blaßtürkisenen Tapeten ausgekleidet waren. Ja, es muß gesagt werden, daß dieses Lokal im Zuge seiner sogenannten Renovierung eher einen Abstieg ins Vergilbte und Schäbige genommen hatte. Die Renovierung war eine umgekehrte gewesen. Wie bei schlecht eingestellten Zeitmaschinen, die nicht vor oder nach einem Krieg landen, sondern mitten im Schlachtfeld.
Der Roy-Lichtenstein-Siebdruck hatte bereits hier gehangen, als noch das Restaurant existiert hatte. In den wirtschaftlich gesehen besseren Zeiten. Herr Grong hatte die Graphik während seiner Jahre in New York erstanden, 1965, als sie in einer Auflage von zweihundert Stück ediert worden war. Heute mochte sie, wie jemand behauptet hatte, dreißigtausend Dollar wert sein. Aber selbst, wenn das stimmte, hätte Herr Grong dieses Bild nicht hergegeben. Es war ein Teil seiner selbst, es kam eigentlich gleich nach seiner Frau, die er allerdings noch länger kannte. Wobei er weder seine Frau noch den Siebdruck in einer hirnrissig abgöttischen Weise liebte. Aber beide standen für die Konstanz in seinem Leben. Herr Grong gehörte nämlich zu den Männern, die meinten, daß eine Frau im Leben und ein Kunstwerk im Leben ausreichten. Es darf also nicht verwundern, daß Job Grong, nachdem er sein Restaurant in eine Bar umfunktioniert und eine entgegengesetzte Renovation vorgenommen hatte, nicht nur dieses Roy-Lichtenstein-Bild wieder aufgehängt, sondern auch das »neue« Lokal danach benannt hatte, nämlich POW!. Obgleich exakterweise der Bildtitel Sweet Dreams Baby lautete, was eigentlich auch ein recht hübscher Name für ein Trinklokal gewesen wäre.
Auf diesem Bild ist in der für Lichtenstein typischen Comic-Manier der Kopf eines Mannes zu sehen, der soeben von einer Faust getroffen wird. An der Stelle, wo
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