Richard Lukastik Bd. 2 - Mariaschwarz
sehen morgens so aus, auch wenn sie noch nie einen Schluck Alkohol angerührt haben.
»Na, gut geschlafen?« fragte Olander.
»Weiß nicht«, sagte das Mädchen in diesem Was-ist-das-denn-für-eine-dämliche-Frage-Ton. Wie soll man denn wissen, wie man geschlafen hat, wenn man geschlafen hat? Aber sie lächelte nachgiebig, drückte Olander einen Kuß ins Gesicht und machte sich daran, ihren Finger in die Marmelade zu stecken. Lieber wäre ihr Schokocreme gewesen, aber die Schokocreme hatte es nicht bis an diesen Ort geschafft. Man war schon sehr am Ende der Welt.
»Du, Papa!«
»Ja?«
Sie wußte, daß er nicht ihr leiblicher Vater war. Aber wäre man ein Planet, wäre man da nicht auch froh über einen fremden Mond als über gar keinen?
Epilog
Job und Lisbeth Grong wurden uralt – allerdings in einem konventionellen Sinn, denn sie gehörten nicht wie Frau Leda zu den Schildkröten. Alt genug jedenfalls, um noch dabeizusein, als nach zweieinhalb Jahrzehnten zähester Verhandlungen eine internationale Forschergruppe daranging, jenes »in flüssigem Zustand fossilisierte Urwasser« als Ganzes aus dem Mariensee zu heben. Ein Unternehmen, welches sich äußerst schwierig gestaltete und letztendlich aufgegeben werden mußte. Das Wasser steckte fest. Was übrigens ganz typisch war für die Entwicklung der Welt, weniger das Scheitern an sich, sondern die Verlangsamung der Prozesse, dieses Steckenbleiben. Ganz anders, als man geglaubt hatte, bremsten sich auch negativste Entwicklungen von selbst ein. Der Verkehr etwa nahm nicht zu, sondern stagnierte, als wären die Leute der Autofahrerei und Fliegerei müde. Überhaupt überwog die Müdigkeit, selbst in der Natur, wo der Klimawandel ins Stocken geriet. Es wurde nicht besser, aber auch nicht schlechter. Das Ozonloch schloß sich nicht, aber es wurde auch nicht größer. Die Wirtschaft wuchs nicht mehr, aber sie schrumpfte ebensowenig. Die Welt war nach Ewigkeiten der Berg- und Talfahrt auf einer ziemlich weiten Ebene angelangt. Es zeigte sich, daß die Erde vielleicht doch eine Scheibe war.
Marlies Herstal ging nach Hiltroff, wo sie sich eine dauernde Bleibe im Grongschen Hotel nahm und ein kleines Institut gründete. Sie wurde mit der Zeit ein wenig verschroben. Das Urwasser, jener See im See, interessierte sie gar nicht so sehr. Vielmehr glaubte sie immer stärker an die Seeschlange, die freilich nie wieder auftauchte. Daß Marlies nach einigen Jahren jenem Mann, den in Hiltroff alle nur den Herrn Götz nannten, ein Kind schenkte, resultierte aus einem dieser Mißgeschicke, die wie ein raffinierter Plan anmuten.
Longhi , welcher Lukastiks Wunsch entsprochen und die kleine Plastikfigur an Vinzent Olander ausgehändigt hatte, gab bald danach seinen Posten auf, ließ sich scheiden und heiratete eine der reichsten Frauen Italiens. Er tat dies alles mit einer Leichtigkeit, als habe er sich entschlossen, statt einer grünen Krawatte eine blaue zu tragen. Man könnte sagen: Er brauchte keinen Plan.
Die Klage, die man gegen Richard Lukastik erhoben hatte, wurde wieder fallengelassen. Er kam in Freiheit. Allerdings legte man ihm eindringlich nahe, seinen Dienst zu quittieren und sich ins Privatleben zurückzuziehen. Was ihn sehr bekümmerte. Er war nicht wie Longhi, konnte nicht alles sein. Er fühlte sich verloren ohne seine Polizistenexistenz. Und es hat durchaus Züge des Komischen, daß er sich entschloß, Privatdetektiv zu werden.
Weit weniger komisch war es, daß Lukastik und seine Schwester sich am Rande von Wien ein Haus kauften und zusammenzogen. Man kann es nicht anders sagen: Sie wurden glücklich miteinander. Und brauchten dazu nicht einmal eine Sammlung kleiner Plastikäffchen.
Und Vinzent Olander ?
Ja, er schrieb Gedichte und lebte mit seiner Frau und seinem Kind an einer Küste, die einen unaussprechlichen Namen besaß. Vielleicht irisch, vielleicht finnisch, vielleicht gar japanisch, vielleicht…
Wirklich erstaunlich, wie schnell die Kinder heutzutage wachsen.
Weitere Kostenlose Bücher