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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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Mai-Revolutionärs Wagner mit König Ludwig II. ist von den Zeitgenossen – den konservativen wie den liberalen – also durchaus nicht als die Entscheidung eines Renegaten empfunden worden.
    Der radikale Demokrat Georg Herwegh, der gemeinsame Duzfreund von Karl Marx und Richard Wagner, schrieb nach Wagners Entlassung ein wütendes Spottgedicht auf die Münchner, deren »undurchdringlich dickes Fell« durch keine Schönheit gerührt werde. »Ihres Hofbräuhorizontes / Grenzen überschrittst du keck, / Und du bist wie Lola Montez / Dieser Biedermänner Schreck.« ( An Richard Wagner , Januar 1866) Der Vergleich von »Lolus« Wagner mit der spanischen Tänzerin, durch die seinerzeit Ludwig I. zu Fall gekommen ist, war ja in der Tat ein Lieblingsmotiv der Zeitungssatire. (Wie erwähnt hat Wagner sie als Geliebte Franz Liszts 1844 persönlich kennengelernt.) Selbst Franz Grillparzer hat es sich nicht nehmen lassen, Wagner in seinem Epigramm Musikalisches als »Lolo Montez« zu verspotten. Sogar der betro ff ene Ludwig I., der erst 1868 starb, machte sich die Parallele zu eigen und sah auf seinen Enkel eine verwandte Katastrophe wie zwanzig Jahre zuvor auf sich selber zukommen.
    Ludwig II. und Wagner mag ein wechselseitiges Verhältnis wie das zwischen dem Herzog von Ferrara und Tasso in Goethes Schauspiel vorgeschwebt haben. Tasso ist dort nicht ein Hofdichter im herkömmlichen Sinne, welcher bestimmte Repräsentationsaufgaben übernimmt, sondern einer, der, materieller Sorgen ledig, ausschließlich der Vollendung seines künstlerischen Hauptwerkes leben darf. Nichts anderes hatte der König mit Wagner im Sinne. Die Antonios, die dem Künstler seine Ehrenstellung missgönnen, ihn schließlich vom Hof vertreiben, sind freilich auch im Falle Wagners nicht ausgeblieben, und wie Goethes Tasso hat er das Schicksal der Vertreibung durch eigene Maßlosigkeit mitverschuldet. Der König selbst hat ihn in seinem Brief an Cosima vom 22. Januar 1866 wegen seines vermeintlichen Verfolgungswahns mit Tasso verglichen, »der auch ein künstliches feindliches Truggewebe zu erblicken wähnt, das sich über seinem Haupte zusammen gezogen hat […]. Er martert Seine Phantasie durch Vorspiegelung aller nur erdenklicher Cabalen, die nicht (oft nicht) gegen ihn gesponnen werden« ( Cosima Wagner und Ludwig II. , 127 f.). Cosima hat in ihrem Antwortbrief vom 24. Januar 1866 den Vergleich Wagners mit Tasso merkwürdig widersprüchlich sowohl bestätigt als auch geleugnet: »Wohl ist er mit Tasso zu vergleichen der als Dichter in dem einzelnen ihn betre ff enden Fall, das ganze Elend der Welt erblickt; allein ist Tasso im Unrecht, und muss man nicht im Moment wo er einsam verlassen und doch schuldlos da steht, die Welt verabscheuen die das Genie zur Excentricität verdammt?« (ebd. 129)
    Eine Parallele zwischen Tasso und Wagner zieht auch Gustav Freytag nach dem Münchner Eklat im Grenzboten 1866 (Nr. 1): »Im ganzen wird man auch hier das alte Leid erkennen, welches sich an dergleichen Verhältnisse zwischen vornehmen Herren und ihren Vertrauten aus der Kunstwelt zu hängen p fl egt. Der Gönner gibt sich eine Zeitlang freudig den erhebenden Eindrücken hin, welche die Kunst auf die Seelen der Menschen ausübt, er ist geneigt, das Schöne und Große, welches ihm die Kunst gegeben, auch dem Künstler zuzutrauen und eine Teil seines eigenen Urteils in die Hand des Künstlers zu geben. Der Künstler aber, in neue Verhältnisse gesetzt, übermäßig erregt durch die glänzenden Farben, welche auf einmal sein Leben erfüllen, breitet sich anspruchsvoll und herrschlustig aus. Er tritt in Gegensatz zu den Gep fl ogenheiten des Hofes, zu Sitte und Brauch seiner neuen Umgebung, mehreren wird er lästig, welche mit oder ohne Recht einen Ein fl uß auf den Fürsten beanspruchen, andere feindet er selbst an, allmählich vereinigen sich viele zum Kampfe gegen ihn; er hat Blößen gegeben und er unterliegt endlich, der Traum seiner Bedeutung zerrinnt und beide, der Fürst und er, haben eine Einbuße erfahren, denn mit Opfern bezahlen beide eine Enttäuschung. Dergleichen ist schon vor Tasso stärkeren Männern begegnet als Herr Wagner ist, und Fürsten, die eine längere Erfahrung hatten als der junge König von Bayern.«
    Nach Wagners ›Verbannung‹ aus München Ende 1865 spielt das Hoftheater im folgenden Jahr kein einziges Werk Wagners. Der bald verlorene Krieg mit Preußen verdunkelt den politischen Horizont. Gleichwohl bleibt Ludwig II. mit Wagner

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