Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
ständig in Kontakt, glühende Bekenntnisse ihrer Verbundenheit und Treueschwüre werden ausgetauscht, und natürlich hält der König seine fi nanziellen Versprechen, unterstützt Wagner, der einige Monate wieder einmal unbehaust im Exil herumirrt (Genf, Südfrankreich). Weiterhin versucht Wagner, seinen politischen Ein fl uss geltend zu machen, und redet dem König, wie erwähnt, auch seine Rücktrittspläne aus. (Einen König Ohneland und Ohnegeld konnte er in der Tat nicht brauchen.)
Fast zu einer Staatskrise kommt es, als Ludwig II. aus Anlass von Wagners Geburtstag am 22. Mai 1866 ohne Wissen seiner Umgebung nach Tribschen reist, wo jener sich inzwischen niedergelassen hat – im Kostüm des Walther von Stolzing aus den noch nicht abgeschlossenen Meistersingern : des Ritters, der von seiner Burg hinabsteigt, um in Nürnberg Bürger zu werden –, und zwei Tage im Hause des maßlos überraschten Komponisten verweilt. Minister drohen mit Rücktritt, Ludwig I. liest seinem Enkel die Leviten, die Presse ergeht sich in wütenden Attacken auf Wagner, sogar die ihm sonst gewogenen Münchner Neuesten Nachrichten distanzieren sich.
Georg Herwegh aber dichtet seine Ballade vom verlorenen König :
Im Bayerland, im Bayerland,
Da war der König durchgebrannt;
Verschollen und verschwunden
Seit einundzwanzig Stunden;
Die Bayern sind sehr übel dran –
Was fängt man ohne König an?
[…]
Und Land und Ministerium
Schimpft auf das Schwanenrittertum,
Auf Wagner, Bülow, Venus,
Aufs ein und andre Genus;
Der König in der Republik
Vertreibt die Zeit sich mit Musik.
Gleichwohl endet das unheilvolle Jahr mit einem Triumph Wagners: von der Pfordten und P fi stermeister, die vor allem auf seine Entfernung aus München gedrängt hatten – »P fi und Pfo«, wie Ludwig und Wagner die Verhassten nennen –, werden entlassen, und der von Wagner wiederholt empfohlene Fürst Hohenlohe wird zum Vorsitzenden des Ministerrats ernannt. Das Ministerium von der Pfordten hatte sich durch seine verhängnisvolle Politik, die zu dem unglücklichen Krieg gegen Preußen führte, selber ruiniert und musste abgelöst werden.
Was der Ö ff entlichkeit seinerzeit verborgen blieb: kein Geringerer als Bismarck hatte im Juni 1866 indirekt Kontakt zu Wagner aufgenommen, um über ihn Ludwig II. im beginnenden Krieg auf die Seite Preußens zu ziehen. Natürlich hatte er von jenem merkwürdigen Komponisten Kunde erhalten, dem der junge bayerische König verfallen war, und suchte ihn nun als politisches Werkzeug zu benutzen. So kurios uns das heute erscheinen mag: in einer Zeit, in der Künstler – die reisenden Virtuosen – vielfach weit mehr in der Welt und vor allem an den Höfen herumkamen als Politiker und den gekrönten Häuptern oder ihren Spitzendiplomaten leicht die eine oder andere geheime Information übermitteln konnten, wurden sie gern (wie schon der Fall Rubens lehrt) als informelle Agenten benutzt. Die Biographie von Franz Liszt bietet dafür manches Beispiel.
Wagner selbst wahrte über den hochbrisanten Vorgang eine für seine Verhältnisse erstaunliche Verschwiegenheit. Als Vermittler Bismarcks fungierte dessen Göttinger Kommilitone und Wagners Freund aus der Zeit des Züricher Exils: François Wille. Auf Bitten Bismarcks besuchte dieser Wagner und drängte ihn, den bayerischen König zu einer vermittelnden Politik gegenüber Preußen zu stimulieren. Eliza Wille teilte dazu später in ihren Erinnerungen an Richard Wagner jedoch mit: »Wagner, damals voll Widerwillen gegen Bismarck und Preußen, weigerte sich und sagte, er habe in politischen Dingen gar keinen Ein fl uß auf den König, der, wenn er (Wagner) von dergleichen anfange, in die Höhe blicke und pfeife!« (Eliza Wille, Erinnerungen an Richard Wagner , Zürich 1982, 95) Dem entspricht ein Brief Wagners an François Wille vom 20. Juni 1866: »Auf den jungen König von Bayern ist erst nur noch durch Begeisterung zu wirken: Wie Ihrer beredtesten Empfehlung es möglich werden sollte, ihn für die Politik des Herrn v. Bismarck zu begeistern, bleibt mir unverständlich […]. Ich kann und will unter keiner Bedingung dem jungen König von Bayern zu einer Theilnahme an jener Politik gerathen wissen, und – wollte ich es –, so würde der Rath in jeder Form zurückgewiesen werden […;] verzeihen Sie eine Verweigerung, die mir in jeder Hinsicht […] aufgedrängt ist.« (SB XVIII, 185) Als politischer Agent oder Intrigant wollte Wagner sich auch von einem Freund, dem er zu
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