Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
zur Wagner-Stadt schlechthin geworden, zur Stätte von vier Wagner-Uraufführungen zu Lebzeiten des Königs. Inmitten des turbulenten Jahres 1865, das mit der Entlassung des »Barrikadenmanns« und »Zukunftsmusikus« aus München enden sollte, fi ndet am 10. Juni die Uraufführung von Tristan und Isolde statt, für den Komponisten und Regisseur Wagner die bis dahin glücklichste Erfahrung mit einem eigenen Werk auf der Opernbühne. Mit dieser Uraufführung endet die sechsjährige Odyssee des als unaufführbar verdächtigten Werks. In Hans von Bülow fand Wagner ebenso den vollkommenen Dirigenten wie im Künstlerpaar Schnorr von Carolsfeld die idealen Darsteller. Ludwig Schnorr von Carolsfeld, der wenige Wochen nach der Uraufführung starb – an der Überforderung durch die Partie des Tristan , wie böse Zungen bis heute grundlos behaupten, obwohl er nach der Münchener Aufführungsserie im Vollbesitz seiner stimmlichen Kräfte noch andere Partien gesungen hat, u. a. auch am 9. Juli den Erik im Hof- und Nationaltheater –, war für Wagner zeitlebens die eingelöste Utopie des Gesangsdarstellers im »Kunstwerk der Zukunft«, sein »erfülltes Ideal«, wie er in seinen Erinnerungen an den einzigartigen Künstler (1868) schreibt (GS VIII, 185), den schon der Kronprinz Ludwig am 16. Juni 1861 als Lohengrin erlebt hatte.
Obwohl die Volksseele den Presseberichten zufolge seit der Lola-Montez-A ff äre nicht mehr so heftig gekocht hatte, wurden die wegen einer langwierigen Erkrankung der Protagonistin mehrfach verschobene Tristan -Uraufführung – vor einem aus ganz Europa angereisten Kenner-Publikum – und die drei weiteren Vorstellungen bis zum 1. Juli zu einem einzigen Triumph für Wagner und sein Ensemble – freilich eher beim Publikum und bei den Musikern, weniger bei der überwiegend mäkelig-konservativen Presse, die sich nicht zuletzt an der vermeintlichen Unsittlichkeit des Werks stieß. Eine Stimme für viele: »Musik ein Tollsinn, Text ein Unsinn, das Ganze ein Irrsinn, nirgends ein Sinn, aber desto mehr Sinnlichkeit«, schreibt der wagnerfeindliche Volksbote (Röckl, Ludwig II. und Richard Wagner I, 165).
Die Jahre 1867 und 1868 brachten denkwürdige Aufführungen von Wagners Opern unter Bülows Leitung: die Neuinszenierungen des Lohengrin am 16. Juni 1867 und des Tannhäuser am 1. August 1867 (beide Werke wurden auf Wunsch des Königs, der sie, wie gesagt, als Einheit sah, in engster zeitlicher Nachbarschaft neuinszeniert), schließlich als Gipfel die triumphale Uraufführung der Meistersinger am 21. Juni 1868. Sie ist der rauschendste künstlerische Erfolg Wagners zu seinen Lebzeiten gewesen. Ludwig II. gestattete ihm gar – ein sensationeller Verstoß gegen die Hofetikette –, sich von der Königsloge aus vor dem schier entfesselten Publikum zu verbeugen.
Trotz des Meistersinger -Triumphs hat Wagner sich allen folgenden Aufführungen seiner Werke in München gegenüber gleichgültig oder ablehnend verhalten. Die Uraufführungen des Rheingold 1869 und der Walküre im folgenden Jahr fanden gegen den Willen Wagners statt, obwohl er (in einem Brief an Hofrat Dü ffl ipp vom 5. Februar 1868) »vorläu fi gen« Einzelaufführungen des Rheingold und der Walküre anfänglich durchaus positiv gegenübergestanden hatte, wenn auch ohne seine aktive Mitwirkung. Seinem Vorschlag gemäß wurde die Bühne des Hof- und Nationaltheaters umgebaut, Maschinerie und Beleuchtung wurden gänzlich erneuert, das alte Kulissen- durch das Panoramasystem ergänzt. Sein Wunschregisseur Hallwachs und sein Wunschdirigent Hans Richter, seit September 1868 Hofmusikdirektor, wurden mit der Einstudierung des Rheingold beauftragt.
Dirigent, Regisseur, Sänger, Bühnenbildner und Maschinisten reisen im Frühjahr und Sommer 1869 nach Tribschen, um sich von Wagner anweisen zu lassen. Dessen Beziehung zu Intendant von Perfall entwickelt sich indessen immer kritischer, da er seine Wünsche und Forderungen nicht konsequent genug erfüllt sieht. Am 27. August fi ndet die Hauptprobe statt, zu der wieder Prominenz aus vielen europäischen Ländern angereist ist. Wegen szenischer Mängel hält Richter die ö ff entliche Aufführung am 29. August nicht für vertretbar, Wagner bittet den König telegra fi sch um eine Verschiebung. Wegen der Weigerung Richters, die Vorstellung zu dirigieren, platzt schließlich die Uraufführung – zur Enttäuschung der Besucher aus aller Welt, zur Entrüstung der Ö ff entlichkeit und zur höchsten Empörung
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