Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
wurde ihr etwas anvertraut, was der eine dem anderen nicht direkt zu sagen wagte, und Cosima hat diese Rolle, als Pariserin mit den Gep fl ogenheiten der großen Welt vertraut, glänzend gespielt – aber immer so, als spiele sie nicht, als käme ihr alles aus stets glühendem Herzen.
Cosima gibt sich – und wie sehr entspricht das der Emp fi ndungsweise des Königs – als Katholikin mit unaufhörlicher Passionsgebärde, die oft vor ihrem Kruzi fi x oder einem Gnadenbild auf Knien liegt, Kraft schöpft aus den Autos sacramentales von Calderón und der die »spanische Vorstellung des Königthums« als einer »O ff enbarung Gottes« alles ist ( Cosima Wagner und Ludwig II. , 88). Daher ihre Bestürzung, als der König nach der Niederlage Bayerns gegen Preußen 1866 ihr – und nicht direkt Richard Wagner – ankündigt, er werde abdanken, um nur noch dem »Gottmenschen« Wagner zu leben. Cosimas Antwort: »In dieser öden Zeit, wo überall der Glaube nur Schacher ist, habe ich in Wahrheit an das Königthum von Gottes Gnaden geglaubt, es ist für mich eine Religion gewesen, so wie die Kunst; an Sie vor allem, ja an Sie einzig habe ich als König geglaubt, als König sollten Sie, Hehrer, unsre Kunst erheben.« Lege er die Krone nieder, dann würden »die entgötterten Menschen in der Gleichheit der vollsten Gemeinheit ihr elendes Leben« führen (ebd. 241 f.).
Vollkommen anders die Reaktion Wagners vom gleichen 24. Juli 1866. Humoristisch vergleicht er die geplante Abdankung mit dem Flucht- und Entführungsplan Walthers von Stolzing, mit dem der König sich so gern identi fi ziert, sich selbst aber mit Hans Sachs, der sagt: »Aufgepaßt: das darf nicht sein!« (GS VII, 208) Nichts von Gottesgnadentum! Wagner bleibt der Idee des Volkskönigtums aus seiner revolutionären Zeit treu. Der König solle aus der von »römischen Priesterintrigen« und der »furchtbaren Pfa ff enmacht« verhetzten »›Münch‹-Residenz hinaus in das frische, freiathmige Franken« ziehen und in der »Meistersinger«-Stadt Nürnberg mit seiner »aufgeklärten und freisinnigen Bevölkerung« eine neue Residenz gründen (SB XVIII, 197 f.).
Ludwig II. und Cosima sehen in einer durch Sakralisierung über sich selbst hinausgehobenen bürgerlichen Ästhetik einen Rettungsanker in einer ›entgötterten‹ Welt. Und so soll Richard Wagner auch nicht mehr »Unterthan« sein, als welcher er selbst seine Briefe an den König zu dessen Unbehagen bisweilen unterzeichnet, sondern, so Ludwig an Cosima am 20. Oktober 1866, »ein Gott, der von des Himmels Höhen herabstieg, die neue beseligende Lehre den Menschen zu verkünden, die Welt zu erlösen! […] Wie aber kann ein Mensch wie Er eines Menschen Unterthan sein, nimmer kann dies sein« ( Cosima Wagner und Ludwig II. , 271). Richard Wagner ist dem König der neue Christus, die Kunst aber für ihn wie für Cosima eine aufgehobene Monstranz, welche die ›entgötterte‹ Moderne in die Knie niederbrechen lassen soll.
Wagner war erst wenige Monate in München, als bereits vonseiten des Hofs, der Münchener Gesellschaft und der Presse wegen seiner fi nanziellen Ansprüche – die am Ende nahezu ein Viertel des königlichen Privatvermögens aufgefressen haben – und seines Ein fl usses auf den König, dem man vorhielt, seinetwegen die Staatsgeschäfte zu vernachlässigen, eine wachsende Opposition gegen ihn laut wurde, die bis zu einer Petition von 4000 Münchner Bürgern führte, welche die Entlassung Wagners forderten.
Als Wagner nach seinem anonymen Artikel in den Münchner Neuesten Nachrichten vom 29. November 1865, der eine Kabinettsumbildung im liberalen Sinne fordert, vom König unter dem Druck des Kabinetts, des Adels, der königlichen Familie und der Kirche zum Verlassen Münchens aufgefordert wird, protestieren die Bayerische Fortschrittspartei und die ihr nahestehenden liberalen Presseorgane heftig dagegen, dass »die hohen Verwandten, die Glieder des hohen Adels, die Staats- und Kirchenbeamten, welche vor dem König über die herrschende Stimmung Zeugnis abgelegt haben, die Stimmung des Volkes vertreten« (so die Augsburger Abendzeitung am 11. Dezember 1865). Der aus München vertriebene Wagner aber beschwört seinen politischen Verbindungsmann August Röckel, die Ho ff nung auf eine liberale Politik Ludwigs II. nicht aufzugeben: »Mir kommt Alles darauf an, den Glauben an ihn bei den Liberalen nicht zu schwächen« (12. Dezember 1865; SB XVII, 367). Das Bündnis des Dresdener
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