Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Vorstellungen Wagners aus seiner revolutionären Rede Wie verhalten sich republikanische Bestrebungen dem Königtum gegenüber? von 1848 durch. Hatte er dort die Liquidation des Adels zugunsten der Unmittelbarkeit der Beziehung zwischen Königtum und Volk gefordert, so sucht er ihn nun auf dem Wege der Reform als eine Art ideales Oberhaus, das über der staatlich-gesellschaftlichen Nutzsphäre schwebt, zur idealen Sphäre des Königtums emporzuläutern, was aber nicht weniger als in der Revolutionsrede die faktische Aufhebung seiner bisher dominierenden politisch-sozialen Stellung bedeutet. In dieser idealen Oberwelt soll nun auch das Theater angesiedelt sein und durch Auflösung des kommerziellen Repertoiretheaters die Wiedergeburt des Dramas »aus dem eigentlichen Volksgeiste« (GS VIII, 65) ermöglicht werden, aus dem, wie Wagner im ersten Teil seiner Schrift zu dokumentieren strebt, alle großen Erscheinungen des Theaters hervorgegangen sind.
Nur durch »Außerordentlichkeit« der Vorstellungen gelange das Theater zu seiner höchsten Bedeutung: die Idee der Festspiele in einem eigens für sie errichteten Theater. »Die gewerbliche Tendenz im Verkehre zwischen Publikum und Theater wäre hier vollständig aufgehoben: der Zuschauer würde nicht mehr von dem Bedürfnisse der Zerstreuung nach der Tagesanspannung, sondern dem der Sammlung nach der Zerstreuung eines selten wiederkehrenden Festtages geleitet, in den von seinem gewohnten allabendlichen Zu fl uchtsorte für theatralische Unterhaltung abgelegenen, eigens nur dem Zwecke dieser außerordentlichen, eximirten Aufführungen sich erschließenden, besonderen Kunstbau eintreten, um hier seiner höchsten Zwecke willen die Mühe des Lebens in einem edelsten Sinne zu vergessen.« (GS VIII, 122 f.)
Verblümt oder unverblümt greift Wagner wesentliche Positionen der Revolution von 1848/49 noch einmal auf, so direkt die Absage an die »deutsche Restauration« (GS VIII, 43) und »Reaktion« (GS VIII, 83), die Verurteilung der Karlsbader Beschlüsse (GS VIII, 40) oder die Idee der »Volksbewa ff nung« (GS VIII, 52 f.). Ja Wagner verteidigt die Ermordung August Kotzebues durch Karl Ludwig Sand als Triumph des Fortschritts über die politische und ästhetische Reaktion (GS VIII, 82). Das war zu viel für ein vom König subventioniertes Blatt. Nach der dreizehnten Folge wurde die Serie von Ludwig II. verboten.
Als Wagner 1864 nach München berufen wurde, traute ihm in der Tat kaum jemand zu, dass er seine revolutionären Gesinnungen, die sich in seinen Schriften bis 1852 mehr als deutlich bekundet hatten, abgelegt habe. »Das geringste Übel, das dieser Fremdling über unser Land bringt«, schreibt im November 1865 der erzkonservative Neue Bayerische Courier , »läßt sich […] nur mit monatelang die Sonne ver fi nsternden und alle unsere Fluren verzehrenden Heuschreckenschwärmen vergleichen. Dieses schreckliche Bild einer Landplage aus pharaonischen Zeiten ist aber noch gar nichts gegen das Unheil, welches dieser sich maßlos überschätzende Mensch anstiften muß, wenn er statt Zukunftsmusik auch noch Zukunfts politik treiben kann. Der bezahlte Musiker, der Barrikadenmann von Dresden, der einst an der Spitze einer Mordbrennerbande den Königspalast in Dresden in die Luft sprengen wollte«, beabsichtige nunmehr, »den König zu isolieren und für die landesverräterischen Ideen einer rastlosen Umsturzpartei auszubeuten« (C. F. Glasenapp, Das Leben Richard Wagners , Leipzig 1905 ff ., IV, 133).
Verfolgt man das heftige Pro und Contra um Wagner, das 1865 fast täglich die Spalten der Münchner, ja der bayerischen Presse füllt, zeigt sich, dass es hier nicht vorrangig um Musik geht, sondern Wagner ein Politikum ist! Man wirft ihm neben seinem sybaritischen Luxusbedürfnis und seinen überzogenen Geldforderungen an den König vor, er versuche diesen politisch zu indoktrinieren und gefalle sich in der Rolle des Marquis Posa. Ästhetische werden zu politischen Fronten, da man in Wagner eben immer noch den einstigen Revolutionär sieht. Seine Hauptgegner sind deshalb natürlich die ultramontanen und konservativen Blätter.
Doch es ist nicht nur der ›Barrikadenmann‹, über den sich die Münchner Wagner-Gegner die Mäuler zerreißen, sondern zugleich sein immer mehr als ehebrecherisch beargwöhntes Verhältnis zu Cosima von Bülow. Im November 1864 wird Hans von Bülow »Vorspieler des Königs« und zieht mit seiner Familie nach München um. Längst besteht eine
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