Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Auseinandersetzung mit Cosima gewesen sein (angeblich wegen des angekündigten Besuchs des Bayreuther »Blumenmädchens« Carrie Pringle). Das nimmt wunder angesichts von Wagners emphatischem Liebesbekenntnis am Vorabend, das Cosima auf der letzten Seite ihres Tagebuchs festgehalten hat: »Wie ich schon zu Bett liege, höre ich ihn viel und laut sprechen, ich stehe auf und gehe in seine Stube: ›Ich sprach mit dir‹, sagt er mir und umarmt mich lange und zärtlich: ›Alle 5000 Jahre glückt es!‹« (CT II, 1113)
In seinem Arbeitszimmer schreibt er an seinem Essay Über das Weibliche im Menschlichen . Nach dem letzten Satz des bis dahin ausformulierten Fragments – »Gleichwohl geht der Prozeß der Emanzipation des Weibes nur unter ekstatischen Zuckungen vor sich« – folgen wie erwähnt nur noch die Stichwörter »Liebe – Tragik« (SS XII, 343). O ff enbar hindert plötzliches Unwohlsein infolge des letzten, tödlichen Herzanfalls Wagner an der Ausformulierung seines Gedankens. Er kann noch läuten, nach Cosima und einem Arzt verlangen, doch gegen 15.30 Uhr stirbt er in den Armen seiner Frau, »ohne Leiden, eingeschlafen mit dem erhabensten und friedvollsten Antlitz, dessen Anblick mich nie mehr verlassen wird«, wie Joukowsky in einem Brief an Malwida von Meysenbug vom 22. Februar 1883 schreibt.
Cosima hält den ganzen Tag und die folgende Nacht einsam die Totenwache. Zum Zeitpunkt von Wagners Tod ist sie 45 Jahre alt. Um 47 Jahre wird sie ihn überleben – ihr Todesjahr 1930 wird auch das ihres Sohnes Siegfried sein. Am Tag nach Wagners Tod nimmt der Bildhauer Augusto Benvenuti Wagners Totenmaske ab. Am 16. Februar fi ndet die Überführung seines Leichnams von Venedig über München nach Bayreuth in einem Sonderzug statt. Überall, wo der Zug hält, wird dem Toten mit Blumen und Kränzen die letzte Ehre erwiesen, in München erklingt der Trauermarsch aus der Götterdämmerung. Als der Zug am 17. Februar nachmittags in Bayreuth eintri ff t, halten Feuerwehrleute die Totenwache. Am nächsten Tag begleitet ein riesiger Trauerzug den Sarg vom Bahnhof nach »Wahnfried«, wo Wagner in engstem Familienkreise im Garten hinter dem Haus in das von ihm selber vorgesehene Grab gesenkt wird.
Den Kondukt über den Canal Grande soll auch der Dandy-Poet Gabriele d’Annunzio begleitet haben. Der Trauerzug vom Palazzo Vendramin über den Kanal bis zu Wagners Grab in »Wahnfried« bildet den Schluss seines Romans Il fuoco (1900), der verklausuliert seine Liebesa ff äre mit der Schauspielerin Eleonora Duse schildert. »Richard Wagner ist tot!« Dieser Ruf durchhallt Venedig wie einst Plutarchs Bericht zufolge der Ruf »Der große Pan ist tot!« vor der griechischen Küste. »Die Welt schien verarmt.« Der junge Komponist Stelio E ff rena, der männliche Protagonist des Romans, erhält von Wagners Witwe die Erlaubnis, mit fünf Gefährten »den Sarg vom Sterbezimmer auf das Boot und vom Boot zum Wagen tragen zu dürfen«. Der authentische Bericht über den Trauerzug verbindet sich mit dem sakralisierenden Gestus der fi ktiven Handlung. Ein letzter Blick der erschütterten Sargträger im Sterbezimmer ist »auf den Auserwählten des Lebens und des Todes gerichtet. Ein unbeschreibliches Lächeln erhellte das Gesicht des liegenden Helden: unsagbar und entrückt, wie ein Regenbogen auf Gletschern, wie das Leuchten des Meeres, wie der Hof um Mond und Sterne. Die Augen konnten es nicht ertragen; aber die Herzen glaubten, mit einem Erstaunen und Erschrecken, die sie fromm werden ließ, die O ff enbarung eines göttlichen Geheimnisses zu empfangen.«
Abb. 33 : Der Trauerzug mit dem Sarg Richard Wagners durch Bayreuth am 18. Februar 1883
Der Trauerzug wird zum Ritual sakralisiert. Die Leiche liegt in einem gläsernen Sarg, der von den Trägern in einen zweiten aus poliertem Metall versenkt wird. »Der Sarg schwankte; dann senkte er sich; er wurde in die metallene Hülle gelegt, die ihn wie eine Rüstung umschloß. Vernichtet blieben die sechs Gefährten um den Sarg herum stehen. Sie zögerten, den Deckel zu schließen, gebannt von diesem unbeschreiblichen Lächeln. Da hörte Stelio E ff rena ein leises Rauschen und hob die Augen: er sah das schneeweiße Antlitz [von Cosima Wagner] über die Leiche gebeugt, eine übermenschliche Erscheinung der Liebe und des Schmerzes. Der Augenblick glich einer Ewigkeit. Die Frau verschwand.« Der Sarg wird zum Trauerboot getragen. Kein Geräusch in der allgemeinen Stille als das Plätschern
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