Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
des Wassers vor dem großen Portal.
Nun folgt die Schilderung des Zugs der Todesbarke über den Canal Grande. »Der Himmel war düster umwölkt über der großen Wasser- und Steinstraße. Das tiefe Schweigen war würdig dessen, der die Kräfte des Universums für das Streben der Menschen nach dem Göttlichen in einen unendlichen Gesang verwandelt hatte. Ein Taubenschwarm, der mit einem blitzenden Flattern von den Marmorstatuen der Scalzi aufstieg, fl og über die Bahre auf die andere Seite des Kanals und bekränzte die grüne Kuppel von San Simeone.« Vom Boot wird die mit Kränzen und Zweigen bedeckte Bahre schließlich in den Eisenbahnwagen gehoben. All das wird mit einer Mischung aus Detailrealismus und Weihepathos geschildet. So könnte es bis auf die apotheotische Verklärung des Trauerzugs wirklich gewesen sein. Die letzten Zeilen des Romans: »Und sie fuhren zu dem bayrischen Hügel, der noch verschlafen in winterlichem Frost lag, während die herrlichen Stämme im Lichte Roms, beim Murmeln verborgener Quellen schon neue Triebe ansetzten.« (Gabriele d’Annunzio, Das Feuer , übers. von M. Gagliardi und G. Scalvani, Berlin 1999, 437–446) Aus dem Tod entsteht dem Kreislauf der Natur und des Mythos gemäß neues Leben, das d’Annunzio in dem aus seiner römisch-heroischen Vergangenheit neue Kraft schöpfenden Italien voraussieht. Dass der deutsche Musiker Richard Wagner dabei eine göttlich-erlösende Rolle spielen soll, zeigt, zu welch universaler, überdeutscher Bedeutung er in seiner letzten Lebenszeit in Europa gelangt ist.
Durch den Tod Wagners hat der Mythos Venedigs eine neue Facette gewonnen. Die Lagunenstadt wird in der Literatur der Jahrhundertwende vollends zur Stadt der Musik und des Todes. Der Trauerzug der Gondel mit dem Leichnam Wagners hat bereits Franz Liszt zu den beiden späten, unter dem unmittelbaren Eindruck der Todesnachricht entstandenen Klavierstücken Die Trauergondel und Richard Wagner – Venezia angeregt, die Wagner selber freilich ebenso wenig zugesagt hätten wie die zuvor entstandenen späten experimentellen Klavierkompositionen Liszts. Zwei Jahre nach d’Annunzios Roman wird ein Werk von Maurice Barrès unter dem Titel La mort des Venise erscheinen, das sich auf Wagners Tod und seine Briefe aus Venedig während der Arbeit am zweiten Akt des todessüchtigen Tristan in Venedig bezieht.
Seinen Gipfel erreicht der Mythos Venedigs als der symbolischen Metropole des Fin de siècle – wenngleich nun schon in seiner Fragwürdigkeit decouvriert – in Thomas Manns Novelle Der Tod in Venedig (1912). In das Entstehungsjahr der Novelle (1911) fällt auch die Erstverö ff entlichung von Wagners Mein Leben ; er schildert hier das Grauen, mit dem er 1858 zum ersten Mal eine venezianische Gondel bestiegen hat, deren Schwarz ihn wie so viele Reisende – Goethe ( Venezianische Epigramme VIII), Lord Byron ( Beppo ), Platen ( Doppelte Bestimmung – der Gondel nämlich, die beim »Leichengepräng« als Bahre dient) und andere – an einen Sarg erinnert. »Das Wetter war plötzlich etwas unfreundlich geworden, das Aussehen der Gondel selbst hatte mich aufrichtig erschreckt; denn soviel ich auch von diesen eigentümlichen, schwarz in schwarz gefärbten Fahrzeugen gehört hatte, überraschte mich doch der Anblick eines derselben in Natur sehr unangenehm: als ich unter das mit schwarzem Tuch verhängte Dach einzutreten hatte, fi el mir zunächst nichts andres als der Eindruck einer früher überstandenen Cholera-Furcht ein [an dieser Cholera aber wird Thomas Manns Aschenbach sterben]; ich vermeinte entschieden an einem Leichenkondukte in Pestzeiten teilnehmen zu müssen. […] Nun kam die sehr lange Fahrt durch den vielgebogenen Canale Grande: die Eindrücke, welche alles hier auf mich machte, wollten mich nicht von meiner bangen Stimmung befreien.« (ML 586) Die »ganze melancholische Stimmung, in welche ich mich durch die Ankunft in Venedig versetzt fühlte« (ML 586), will Wagner auch in der Folgezeit nicht verlassen. Kein Zweifel, dass Thomas Mann die Ankunft Aschenbachs in Venedig dieser Wagnerschen Erinnerung nachgebildet hat. Und versteckt spielt er auf Wagners eigenen Leichenkondukt an, wenn es heißt, die venezianische Gondel gemahne »an den Tod selbst, an Bahre und düsteres Begräbnis und letzte schweigsame Fahrt«.
Abb. 34 : Richard Wagners Totenmaske
Die Nachricht von Richard Wagners Tod in Venedig hat das ganze gebildete Europa ebenso mit ›respektvoller Erschütterung‹
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