Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Aufspaltung in Rassen zielt.
Noch einmal geht es in diesem fragmentarischen Essay um das Thema der Ehe und »Liebestreue« – die den tierischen »Gattungsinstinkt« (GS XII, 344) durch ihre Ausrichtung nicht mehr auf die Gattung, sondern auf die Individualität des geliebten Anderen überwindet – sowie, zurückweisend auf die Walküre , um die verhängnisvollen Folgen der »auf Eigentum und Besitz berechneten Konventionsheiraten« (SS XII, 343), die das spezi fi sch Menschliche der Ehe und der auf individueller Liebe basierenden Treue verraten, schließlich um die Parsifal -Idee einer sexuell abstinenten, buddhistisch-christlichen Endzeitgemeinschaft, mit deutlicher Anspielung auf den Opernplan der Sieger , mit der das Fragment abbricht: Buddha, der das Weib so sehr dem »natürlichen Gattungsgesetz« unterworfen wähnte, dass er es von der »Möglichkeit der Heiligwerdung« ausschloss, ließ sich ja doch in der Legende, die den Siegern zugrunde liegt, zur »Aufnahme des Weibes« – aufgrund der Liebesentsagung desselben – in seine Gemeinde bewegen (GS XII, 345).
Nach Wagners Theorie ist das Weib bisher stärker noch dem natürlichen Gattungsinstinkt unterworfen als der entschiedener vom naturüberschreitenden Individualverhalten bestimmte Mann – eine Geschlechterunterscheidung, die freilich durch die moderne gesellschaftliche Entwicklung allmählich aufgehoben zu werden scheine. Der letzte Satz des Fragments bezieht die »Emanzipation des Weibes« o ff enkundig auf dessen Fähigkeit, das »natürliche Gattungsgesetz« zu überwinden. Erst dann kann es – wie Kundry im Parsifal – der eschatologischen Gemeinschaft der Weltüberwindung beitreten. Die Stichworte »Liebe – Tragik«, die Wagner als letztes zu Papier gebracht hat, ehe ihm der tödliche Herzanfall die Feder aus der Hand gleiten lässt, scheinen auf das Kernproblem der Sieger hinzudeuten: die Tragik der leidenschaftlichen Liebe des Tschandalamädchens Parakriti zu Ananda, der das »Gelübde der Keuschheit« abgelegt hat (GS XI, 325), und ihre metatragische Überwindung durch Entsagung. Warum Wagner seinem letzten Essay den Titel Über das Weibliche im Menschlichen gegeben hat, ist aus der wenige Seiten umfassenden Einleitung nur zu erahnen. O ff enbar bezieht er sich auf die »Übereinstimmung« des »ewig Natürlichen« mit dem »Reinmenschlichen«, von der in der Einleitung zweimal die Rede ist (GS XII, 343). Wie sie gemeint ist und auszusehen hat, wäre wohl im weiteren Verlauf des Essays erörtert worden.
Am Abend vor seinem Tode liest Richard Wagner den Seinen aus Fouqués Undine vor, und zwar aus dem Exemplar, das dem bedeutenden russischen Dichter und Übersetzer Wassili Andrejewitsch Joukowsky als Vorlage für seine Übertragung gedient hatte. Der Sohn des Dichters, Paul von Joukowsky, hat Wagner das Exemplar aus dem väterlichen Nachlass überlassen. Während der Vorlesung zeichnet er das letzte Porträt von Wagner, das gewiss erschütterndste Bildnis, das wir von ihm besitzen: von Schmerz und Versenkung geprägt. Vor dem Einschlafen redet Wagner mit Cosima unter dem Eindruck der Lektüre »von den Undinen-Wesen, die sich nach einer Seele sehnen«. – »Er geht an das Klavier«, berichtet Cosima in den letzten Zeilen ihres Tagebuchs, »spielt das Klagethema der Rheintöchter: ›Rheingold, Rheingold‹, fügt hinzu: ›Falsch und feig ist, was oben sich freut.‹ ›Daß ich das damals so bestimmt gewußt habe!‹« Mit Sicherheit spielt Wagner hier einmal mehr auf den Zustand des Deutschen Reiches an. (Dem Nachtrag zu Cosimas Tagebüchern von der Hand ihrer Tochter Daniela zufolge bestand »eine der letzten Äußerungen seines Unwillens gegen die Staatswirtschaft« in einer heftigen Attacke auf Bismarck; CT II, 1114.) »Wie er im Bette liegt, sagt er noch«, so weiter Cosima: »Ich bin ihnen gut, diesen untergeordneten Wesen der Tiefe, diesen sehnsüchtigen.« Das sind die allerletzten Worte von Cosimas Tagebuch (CT II, 1113). Jenes Bekenntnis zu den »Untergeordneten« ist die entschiedene Absage an die Welt »oben«, an die repräsentativen Kräfte der gegenwärtigen Zivilisation, auch und zumal an die Überheblichkeit der ›Siegernation‹, den Triumphalismus des Deutschen Reichs.
Abb. 32 : Richard Wagner, gezeichnet von Paul von Joukowsky, »R. lesend«, am Abend vor seinem Tod
Am folgenden Tag, dem 13. Februar, lässt Wagner sich beim Mittagstisch entschuldigen. Der Grund dafür soll der Tochter Isolde zufolge eine
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