Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
XI, 107), auch und gerade als er selber von ihr erfasst wird. Die Ver fi lzung von Macht- und Karrieredenken, reaktionär-despotischer Gesetzesordnung und lebens-, erosfeindlicher Moral wird von Wagner schonungslos decouvriert. Fast ist man geneigt, hier schon an Nietzsches Desillusionierungs- und Entlarvungspsychologie zu denken, an seine Decouvrierung der »asketischen Ideale« – gerade im Blick auf Parsifal : »Was bedeutet es zum Beispiel, wenn ein Künstler wie Richard Wagner in seinen alten Tagen der Keuschheit eine Huldigung darbringt?« ( Zur Genealogie der Moral ; SW V, 340) Ein merkwürdiger Gedanke, dass Wagner mit seiner »Jugendsünde« in Ansätzen eine Methode der Kritik antizipiert, die Nietzsche an Wagners eigenem »Weltabschiedswerk« üben wird.
Das Liebesverbot betri ff t in der Oper dieses Titels übrigens nicht nur die freie Liebe, sondern jede Form von orgiastischer Lustbarkeit – und vor allem den Brauch, der sie institutionalisiert: den Karneval. Die in ihm sich manifestierende anarchische Lebensfreude muss in der Tat einem despotischen Regime verdächtig und gefährlich sein. Man darf da an Goethes Schilderung des Römischen Karneval aus dem Jahre 1788 denken. Der Karneval, der auf die »Saturnalien« zurückgeht, welche im alten Rom als Reminiszenz an das Goldene Zeitalter Saturns gefeiert wurden, gewährt den Römern, so schreibt Goethe, für die Zeit seiner Dauer die »Privilegien« der Freiheit und Gleichheit, wie sie in jenem mythischen Zeitalter geherrscht haben sollen. »Der Unterschied zwischen Hohen und Niedern scheint einen Augenblick aufgehoben: alles nähert sich einander.« Wenn er am Ende bemerkt, »daß Freiheit und Gleichheit nur in dem Taumel des Wahnsinns genossen werden können«, so meint man – 1788! – bereits die Französische Revolution von ferne grollen zu hören.
Und als eine Art Liebes-Revolution soll sich auch der Karneval am Ende des Liebesverbots darstellen. Wagner zieht hier alle Register seiner an der Opéra comique geschulten Ensemblekunst. Vorbildlich für die Darstellung des Aufruhrs ist zumal Aubers Dramaturgie der Masse in der Stummen von Portici . Der zum Tode verurteilte Claudio wird vom Volk befreit, der puritanischen Diktatur des Statthalters ein Ende bereitet. Als dieser selbst an das Volk appelliert, die von ihm im stillen schon beschlossene Selbsthinrichtung zu vollziehen: »So richtet mich nach meinem eigenen Gesetz!«, antworten alle: »Nein, das Gesetz ist aufgehoben! / Wir wollen gnäd’ger sein als du!« (SS XI, 123)
Die Revolution vernichtet also nicht den Despoten, sondern befreit ihn sogar – von seinem eigenen despotischen Gesetz. Am Schluss darf er gar die Maskenprozession anführen, die dem zurückkehrenden König entgegenzieht. »Shakespeare schlichtet die entstandenen Kon fl ikte durch die ö ff entliche Zurückkunft des bis dahin im Verborgenen beobachtenden Fürsten: seine Entscheidung ist eine ernste und begründet sich auf das ›Maß für Maß‹ des Richters. Ich dagegen löste den Knoten durch eine Revolution«, schreibt Wagner in Eine Mittheilung an meine Freunde (GS IV, 254). Wirklich triumphiert hier das Volk, und der Karneval wird zum Fest eines vom Eros regierten, freien Gemeinwesens. »Wir halten dreifach Karneval, / und niemals ende seine Lust!«, lauten die letzten Verse der Oper (XI, 124). Um eine echte Revolution handelt es sich da freilich kaum. Sonst wäre die Aufführung an der Zensur gescheitert, die schon den Titel Das Liebesverbot beanstandete, weshalb die Oper nur unter dem Titel Die Novize von Palermo in Magdeburg über die Bühne gehen konnte. Allgemeine Heiratslust ersetzt den Willen zur politischen Veränderung, keine Bastille wird gestürmt, nur »alle Trauerhäuser« sollen eingerissen werden (SS XI, 124), und am Ende zieht man unter Kanonenschüssen, Glockengeläute und den Klängen eines Militärmarsches dem König entgegen. Eine Karnevalsrepublik unter den Augen eines freilich liberalen Monarchen.
Deutsche Misere und Große Oper – Paris wirft seine Schatten voraus
Nach seiner ersten Anstellung als kläglich besoldeter Chordirektor in Würzburg (1833) wird Wagner im Jahre 1834 von der Bethmannschen Schauspieltruppe als Musikdirektor nach Magdeburg eingeladen, und zwar für die Sommersaison der Truppe in ihren Dependancen Bad Lauchstädt und Rudolstadt. Hier lernt er die Schauspielerin Minna Planer (1809–1866) kennen, in die er sich heftig verliebt. Minna ist vier Jahre älter als Wagner,
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