Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Giacomo Meyerbeers macht, und begeben sich schließlich im September nach Paris, dem lang ersehnten Ziel der turbulenten Reise.
Paris und die Grand Opéra haben schon deutliche Schatten in Wagners Scha ff en der Magdeburger, Königsberger und Rigaer Zeit vorausgeworfen. Neben manchen musikalischen Gelegenheitsarbeiten (zumal Ouvertüren wie Rule Britannia [WWV 42] und Theatermusiken) hegt Wagner Opernpläne, in denen er sich deutlich an der Großen Oper misst. Das eigentümlichste dieser Projekte ist der Versuch einer regelrechten Revolutionsoper: »Bei und in Nizza: 1793« (SS XI, 136) spielt die »große Oper in fünf Akten« Die hohe Braut oder Bianca und Giuseppe (1836/1842, WWV 40), zu der Wagner nur das Libretto schrieb und die schließlich von seinem Prager Freund Johann Friedrich Kittl vertont, ja o ff enbar mit beachtlichem Erfolg aufgeführt wurde ( Bianca und Giuseppe, oder: Die Franzosen vor Nizza , 1848). Noch einmal tritt Wagner hier in ästhetische Verbindung zu der inzwischen von der Bundesversammlung 1835 als staatsgefährdend eingestuften Oppositionsbewegung des ›Jungen Deutschland‹, hatte doch Heinrich Laube in der von ihm redigierten Zeitung für die elegante Welt am 11. Juli 1833 Heinrich Koenigs Roman Die hohe Braut , die Quelle des Wagnerschen Librettos, als Musterbeispiel historischer Darstellung gepriesen.
Einen derart vom oppositionellen liberalen Zeitgeist geprägten Sto ff glaubte Wagner Eugène Scribe, dem institutionellen Librettisten der Grand Opéra, schmackhaft machen zu können. Im August 1836 schickte er aus Königsberg die französische Übersetzung eines Prosaentwurfs der Oper an Scribe, in der sehr naiven Ho ff nung, dieser werde den Entwurf zum Libretto für Wagner ausarbeiten und ihm den Kompositionsauftrag vermitteln. Natürlich hörte er nichts von Scribe. Kompositionsaufträge durch die Opéra wurden allenfalls etablierten Komponisten erteilt. Doch Wagner verfolgte sein Projekt auch noch während seines Paris-Aufenthalts (wohl im Sommer 1840) hartnäckig weiter. Ungefähr zur gleichen Zeit verfasste er einen französischen Prosaentwurf zum Fliegenden Holländer , mit dem er ebenfalls Scribe als Librettisten zu gewinnen und somit einen Auftrag der Opéra zu erlangen ho ff te.
Da alle Bemühungen nichts fruchteten, verlor Wagner o ff ensichtlich das Interesse an der Komposition des Sto ff s der Hohen Braut . Immerhin arbeitete er – als sein eigener Scribe – den Entwurf 1842 zu einem Libretto aus, das nach mehreren verfehlten Versuchen, es bei anderen Komponisten unterzubringen – er selbst hatte nicht mehr vor, es in Musik zu setzen –, endlich von Kittl vertont wurde. Dieser hat das leider verschollene Originallibretto teilweise bearbeitet und ihm, nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Zensur, seine revolutionären Akzente weithin genommen. Von dessen ursprünglicher Intention erhält man erst durch Wagners Prosaentwurf ein deutlicheres Bild. Die ›Reinschrift‹ dieses Entwurfs von 1838 ist erst 1989 in der englischen Zeitschrift Wagner abgedruckt worden.
Die Handlung fällt in das Jahr des Anschlusses von Nizza an die französische Republik, 1793. In der dialektischen Kontrapunktik, wie sie auch die Dramaturgie Scribes seit der von Auber vertonten und von Wagner zeitlebens bewunderten Stummen von Portici prägt, werden politische und private Handlung miteinander ver fl ochten. Auch aufrührerische Massenauftritte und Volksfestszenen, das Erbe der Pariser Revolutionsspektakel auf dem Theater wie im Leben, sind vorgesehen, ja sogar eine veritable Kirchenszene mit Orgel, wie sie seit Meyerbeers/Scribes Robert der Teufel ( Robert le Diable , 1831) zum festen Bestandteil der Großen Oper wurde. So genau Wagner auch die dramaturgischen Eigentümlichkeiten Scribes und der Großen Oper adaptiert zu haben schien, in einem wesentlichen Punkt entsprach sein Plan nicht mehr dem Zeitgeist. Der von den Zuschauern seinerzeit gefeierte revolutionäre Elan der Muette de Portici ( Stummen von Portici ), deren Brüsseler Erstaufführung 1830 den belgischen Volksaufstand ausgelöst hatte, war seit der Etablierung der Juli-Monarchie in Frankreich längst einem Revolutionspessimismus gewichen, der sich in Meyerbeers Opern Robert le Diable und Les Huguenots ( Die Hugenotten ) mehr als deutlich manifestierte.
Der revolutionäre Impetus von Wagners Hoher Braut , gar das Schlusstableau mit Feldmusik und Marseillaise, wäre in den späten 1830er Jahren auf der Bühne der Pariser Oper
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