Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Selbstanklage in der fünften Szene des zweiten Aufzugs ist ein merkwürdiger Vorklang des Leidens eines anderen Liebesantipoden: auch dieser verfällt plötzlich einer erotischen Leidenschaft mit katastrophalen Folgen, wird zum Zeichen seiner Sünde von demselben Speer versehrt, mit dem er ausgezogen war, ein verruchtes erotisches Paradies (errichtet von einem weiteren Liebesantipoden, der sich gar selbst kastriert hat, um der Lust nicht zu verfallen) für immer zu zerstören: Amfortas im Parsifal . Eine trotz oder gerade aufgrund des Austausches der Wertungsvorzeichen frappierende Parallelität zwischen Wagners »Jugendsünde« (so er selbst in den Widmungsversen zur Partitur des Liebesverbots , die er Weihnachten 1866 Ludwig II. schenkte) und seinem »Weltabschiedswerk«. Zwischen den beiden Antipoden Friedrich und Amfortas besteht eine merkwürdige dialektische Verbindung. Der Statthalter von Palermo ist nicht einfach der heuchlerische Repräsentant ›doppelter Moral‹, der selbst genießt, was er anderen verwehrt. Er erfährt die Macht des Eros als einen dämonischen Zwang, der sein Bewusstsein außer Kraft setzt (»ich bin mir meiner nicht bewußt«; SS XI, 84) und ihn – fast schon Kundry gleich – die geschlechtliche Vereinigung wie das »Heil der Seele« (SS XI, 106) ersehnen lässt. Die Lust als pervertiertes Heil, »Gott und Hölle« (SS XI, 107) in einem – die Paradoxie beinahe schon, »in höchsten Heiles heißer Sucht / nach der Verdammnis Quell zu schmachten« (Parsifal zu Kundry; GS X, 361).
In diesem zwanghaften Verständnis des Eros deuten sich schon jene intrikaten Züge des Liebessehnens an, die wir aus Wagners späteren Werken kennen. Auch das Thema des Liebesverbots kehrt ja in mannigfachen Variationen bei Wagner wieder: im Entwurf Die Bergwerke zu Falun (WWV 67) ist es das Verbot menschlicher Liebe im Namen der Kunst (chi ff riert im künstlichen Paradies der Bergkönigin), im Tannhäuser das Verbot irdischer zugunsten himmlischer Liebe, im Ring des Nibelungen die Abschwörung der Liebe zugunsten der Macht, im Plan der Sieger (WWV 89) und im Parsifal die Absage an den Eros, welcher der Brennpunkt des leidzeugenden ›Willens‹ im Sinne Schopenhauers ist.
Das Liebesverbot des sizilianischen Statthalters trägt freilich noch andere Züge, die über das Intim-Psychologische weit hinausgehen. Friedrich ist kaum »ein treuer Diener seines Herrn« wie der Statthalter Bancban in Grillparzers Tragödie dieses Titels, sondern er ist päpstlicher als der Papst, verwandelt die vom Volk selbstverständlich akzeptierte Herrschaft des abwesenden Königs in einen fi nsteren, lebensfeindlichen Despotismus. Dass der verordnete Asketismus des Statthalters nicht Gottes, sondern des Teufels ist – weil ihm eben an der Moral nicht um ihrer selbst, sondern um der Macht willen liegt –, das durchschaut das Volk sofort. Seine Ankündigung: »Rein will ich euch dem König übergeben« beantwortet es »unter sich«: »Mit welcher Salbung spricht der Mann, / der Teufel hat’s ihm angetan!« (SS XI, 81) Wer ein Reich der reinen Tugend verwirklichen und nicht wahrhaben will, dass der Weizen nur zusammen mit dem Unkraut gerät, scha ff t statt des Himmels immer die Hölle auf Erden.
Obwohl Friedrich sich nur als Verweser des Königs betrachtet, das »Gesetz« als unantastbar, auch ihm selbst übergeordnet ansieht, ist er doch ein durchaus eigennütziger Karrierist, der die Liebe der Macht geopfert hat. Hier bahnt sich schon die ›Macht-statt-Liebe‹-Thematik der Ring -Tetralogie an, freilich noch in einer durchaus ›jungdeutschen‹ Opposition. Die Macht des Eros steht hier nämlich für Freiheit im moralischen wie politischen Sinne, die Erosfeindschaft hingegen für reaktionären Despotismus. Die Aufrechterhaltung der ›Moral‹ liegt ja von jeher im Interesse autoritärer staatlicher Gewalt. Noch einmal dürfen wir an den Ring erinnern, wo die Liebe ebenfalls als »Aufwieglerin« ( Oper und Drama ; GS IV, 56) gegen Gewohnheit und starres Gesetz auftritt: zumal in der Liebe des Wälsungenpaars, die für Fricka, die Repräsentantin der sittlichen »Gewohnheit« (GS IV, 56), nichts anderes als die Störung moralischer wie gesellschaftlicher Ordnung ist, an der sie unbeirrbar-legalistisch festhält. »Stets Gewohntes / nur magst du verstehn«, hält Wotan ihr denn auch entgegen (GS VI, 31).
Auch Friedrich klammert sich an das »Gesetz«, richtet es wie einen tödlichen Pfeil gegen die »Leidenschaft« (SS
Weitere Kostenlose Bücher