Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
der wird der Meister sein, der weder italienisch, französisch – noch aber auch deutsch schreibt.« (SS XII, 4) Mit diesem Schlusssatz des Aufsatzes Die deutsche Oper wiederholt Wagner eine Forderung des von den Mächtigen der politischen Restauration verfolgten ›Jungen Deutschland‹, wie sie zumal in Heinrich Laubes Roman Das junge Europa (1833) und den Artikeln seiner Zeitung für die elegante Welt erhoben worden ist. Die Polemik gegen Obskurantismus, reaktionäre kirchliche Orthodoxie, verstockt sinnenfeindliche Moral und rückständig-partikularistische Politik, die Begeisterung für die Rebellionen der letzten Jahre: den griechischen Freiheitskampf, die Pariser Juli-Revolution und den polnischen Aufstand, die Forderung an den Künstler, unmittelbar und aktiv am Zeitgeschehen teilzunehmen und statt des Rückgri ff s auf eine mythisierte Vergangenheit die Realität des gegenwärtigen Lebens darzustellen, der Lobpreis des von allen konventionellen Schranken befreiten sinnlich-schönen Lebens, die Utopie einer die nationalen Grenzen überschreitenden Universalpolitik – all diese Ideen hat Wagner sich zu eigen gemacht, auch den Enthusiasmus für Laubes literarisches Vorbild: Wilhelm Heinses Roman Ardinghello und die glückseligen Inseln von 1787. Der Titelheld des Romans repräsentiert für die Autoren des ›Jungen Deutschland‹ das Ideal sinnlichen Lebensgenusses und freier Liebe, das sich am Ende des Romans auf den »Glückseligen Inseln« im Ägäischen Meer, in einem Staat ohne Eigentum, der jedem vergönnt, seine Individualität voll auszuleben, utopisch Raum scha ff t.
Auch Wagner hat Heinses Roman mit Begeisterung gelesen und sich von diesem Eindruck sein Leben lang nicht mehr zu lösen vermocht. Noch in seinen letzten Lebensjahren hat er zusammen mit Cosima die Lektüre des Ardinghello wiederholt. (»Das hat mir gefallen von Heinse in seinen ›Seligen Inseln‹«, bemerkt er noch eine Woche vor seinem Tod, »dass er sagt: Sie hatten kein Eigentum, um den vielen Übelständen vorzubeugen, die damit verbunden sind.« CT II, 1107) Es gehört überhaupt zu den Eigentümlichkeiten in Wagners geistiger Entwicklung, dass er einmal gefasste Sympathien – sosehr er sich später dazu aufra ff t, sie zu verleugnen – nie mehr los wird, dass er vor allem in privaten Äußerungen immer wieder zu ihnen zurückkehrt. Die Tagebücher Cosimas bieten dafür auf nahezu jeder Seite einen frappierenden Beweis.
Die »ausgelassene jungeuropäische Stimmung« (ML 90), der Wagner sich in den 1830er Jahren, wie er unter Anspielung auf Laubes Roman in Mein Leben gesteht, voll und ganz hingegeben hat, fi ndet ihren unmittelbaren künstlerischen Spiegel in der »großen komischen Oper« Das Liebesverbot oder die Novize von Palermo (WWV 38), deren Partitur Wagner im März 1836 vollendet. (Im gleichen Monat wird sie unter seiner Leitung in Magdeburg unter kümmerlich provinziellen Voraussetzungen, die Wagner in Mein Leben beschreibt, uraufgeführt.) Das »warme, wahre Leben« zu packen, »wie es ist« (SS XI, 10 f.), das ist – gemäß der Maxime seines Pasticcio – das Ziel, das er sich mit dieser ›Karnevalsoper‹ gesetzt hat. Bei Wagners zweiter Oper handelt es sich um eine sehr freie Adaptation von Shakespeares Measure for Measure ( Maß für Maß ), »nur mit dem Unterschied, daß ich ihm [dem Sto ff ] den darin vorherrschenden Ernst benahm und ihn so recht im Sinne des jungen Europa modelte: die freie, o ff ene Sinnlichkeit erhielt den Sieg rein durch sich selbst über puritanische Heuchelei«, heißt es in der Autobiographischen Skizze (GS I, 10). Die Handlung wird von dem recht sagenhaften Wien der Shakespeareschen Vorlage nach Palermo verlegt. Der Statthalter Friedrich, welcher den abwesenden sizilianischen König (statt des Herzogs in Maß für Maß ) vertritt, verwandelt sich in einen moralinsauren Deutschen, der mit seiner fanatischen Erosfeindschaft all jene typisch deutschen Untugenden verkörpert, gegen die sich die Jungdeutschen polemisch zur Wehr gesetzt haben.
Am südländisch-sinnentrunkenen Temperament der sizilianischen Bevölkerung wird das Liebesverbot des teutonischen Moralisten schließlich zuschanden, ja der »Liebesantipode«, wie der Text ihn nennt (SS XI, 97), wird selbst von Eros gebannt. Er entbrennt in leidenschaftlicher Liebe zu Isabella, die sein ganzes moralistisches System zerstört. »Armseliger! Wohin ist das System, / das du so wohl geordnet, hinge fl ohen?« (SS XI, 106) Friedrichs
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