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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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Pariser Feuilletons verraten – Heine-Nachahmer jenen Essay kannte, ist mit Sicherheit anzunehmen. In ihm konnte er nahezu alles Wissenswerte über den Tannhäuser-Sto ff fi nden – nicht zuletzt Heines eigene parodistische Version der Sage.
    Ein »Volksbuch« vom Tannhäuser, von dem Wagner redet, hat es übrigens nie gegeben. O ff ensichtlich meint Wagner Ludwig Bechsteins Sammlung Die Sagen von Eisenach und der Wartburg, dem Hörselberg und Reinhardsbrunn , deren erster Teil 1835 erschienen ist. Dort wird nicht nur die Tannhäuser-Sage erzählt, sondern der bisher meist nach Italien verlegte Venusberg in Thüringen lokalisiert und Tannhäuser lose mit der Wartburg in Verbindung gebracht, »dahin er wohl auch von dem Landgrafen geladen war«. In Bechsteins Sammlung steht auch die Erzählung vom Sängerkrieg, und zwar mit eben der grammatikalisch auffälligen Überschrift, welche im Untertitel von Wagners Oper wiederkehrt: Der Sängerkrieg auf Wartburg . Auch Ludwig Bechstein wird übrigens in Heines Essay Elementargeister erwähnt. Wagner war die Sage vom Sängerkrieg auf der Wartburg übrigens längst durch E. T. A. Ho ff manns Erzählung Der Kampf der Sänger (1818) aus dem Zyklus Die Serapionsbrüder bekannt, in der auch schon das Thema des Venusbergs anklingt, womit sich die moderne Erotisierung des Sto ff s anbahnt.
    Es bedurfte nur noch des letzten philologischen Anstoßes durch Christian Theodor Ludwig Lucas’ Abhandlung Über den Krieg von Wartburg (1838) – auch hier fehlt wie bei Bechstein der bestimmte Artikel vor ›Wartburg‹ –, dass Wagner die Sagen von Tannhäuser und vom Sängerkrieg gänzlich verquickte, indem er die sagenhafte Gestalt des Heinrich von Ofterdingen in der von Lucas herausgegebenen spätmittelalterlichen Dichtung vom Sängerkrieg (und in deren späteren Variationen bis hin zu E. T. A. Ho ff mann) gegen den historischen, aber ebenfalls zur Sagen fi gur gewordenen Heinrich (!) Tannhäuser vertauschte. Hatte doch Lucas, mit dessen Abhandlung ihn sein gelehrter Pariser Freund Samuel Lehrs – wie mit anderen mittelalterlichen Quellen – bekannt machte, Ofterdingen spekulativ mit Tannhäuser identi fi ziert.
    Wagner hat Ho ff manns Kampf der Sänger vorgeworfen, dass »der alte Sto ff hier sehr entstellt« erscheine (ML 223). Er suchte so – wie im Falle von Tiecks Erzählung, ganz zu schweigen von dem gar nicht erst erwähnten Heine – den Ein fl uss der modern-romantischen Poesie auf seine Oper zu bagatellisieren, um sie ganz aus der mittelalterlichen und volkstümlichen Tradition herzuleiten. Und doch hat er Ho ff manns Kampf der Sänger unverkennbar seine Hauptmotive entlehnt. Fehlt im mittelalterlichen Sängerkrieg-Gedicht jedes erotische Motiv – nicht um Liebe geht es, sondern der Gegenstand des Wettsingens ist das Fürstenlob –, so rückt die Liebesthematik bei Ho ff mann in den Vordergrund. Wol ff ramb von Eschinbach und Heinrich von Ofterdingen bemühen sich wetteifernd um die Liebe der Grä fi n Mathilde, wobei Wol ff ramb Heinrich gegenüber immer der großmütige Freund bleibt. Als Streit unter den Sängern ausbricht, ist er der einzige, der zu Heinrich hält. Diese Konstellation hat Wagner mit wenigen Akzentverschiebungen in den Tannhäuser übernommen. Ein anderes Hauptmotiv, das Wagners Tannhäuser mit Ho ff manns Kampf der Sänger verbindet, ist die Kontrastierung des dämonisch-neutönerischen Künstlertums Ofterdingens respektive Tannhäusers, das zu unterweltlichen Mächten – dort der Hölle, hier des Venusbergs – in Verbindung steht, mit der wohltemperiert-konventionellen Kunst der anderen Sänger auf der Wartburg. Ofterdingen führt sich beim Sängerkampf recht rüpelhaft auf und zeigt den Mitstreitern auf arrogante Weise seine Geringschätzung ihrer Kunst. Bezeichnend seine Reaktion auf das Lied Wol ff rambs von Eschinbach, das alle anderen Hörer innig rührt: »Heinrich von Ofterdingen runzelte aber die Stirn und nahm, sich von Wol ff ramb abwendend, die Laute, auf ihr einige wunderbare Akkorde anschlagend. Er stellte sich in die Mitte des Kreises und begann ein Lied, dessen Weise so ganz anders als alles, was die andern gesungen, so unerhört war, daß alle in die größte Verwunderung, ja zuletzt in das höchste Erstaunen gerieten. Es war, als schlüge er mit seinen gewaltigen Tönen an die dunklen Pforten eines fremden verhängnisvollen Reichs und beschwöre die Geheimnisse der unbekannten dort hausenden Macht herauf. […] Nun rauschten die

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