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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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Gegenwelt verteufelten Venusberg wirken immer noch segensreiche Kräfte in die irdische Welt hinüber. Venus hat die Nachfolge der antiken Unterweltgöttin Persephone angetreten. Wie dieser ist es ihr vergönnt, in jedem Frühling zur Erde aufzusteigen und die Natur zu neuem Leben zu erwecken. Das ist der Inhalt des Hirtenlieds. Auch dieses ist also ein heimlicher Hymnus auf Venus! Im Tannhäuser gibt es keine strikte Antithetik von antik-sinnlicher und mittelalterlich-spiritueller Welt, beide sind vielmehr dialektisch miteinander verschränkt. Das gilt auch für ihre weiblichen Personi fi kationen im Drama. Der gegen den Dualismus von Geist und Sinnlichkeit, himmlischer und irdischer Liebe aufbegehrende Tannhäuser hat Venus ursprünglich gewissermaßen um Elisabeths willen aufgesucht. Diese blieb ihm im Rahmen der hö fi schen Minnekultur ins Unnahbare entrückt, nur Gegenstand der Anbetung – wo er mit Leib und Seele lieben wollte. In Venus suchte er Elisabeth, wie der Zurückgekehrte in Elisabeth nun Venus sucht.
    Selbst die Wendung von Venus zu Maria am Ende der Venusbergszene ist nicht ohne erotischen Beiklang. In der Romantik – und besonders bei Heinrich Heine – verschmelzen Venus und Maria oft zu einer Gestalt. Die Venus-Madonna ist ein Motiv, das sich von der Renaissance bis in die Moderne verfolgen lässt. Dass auch Wagner in Gedanken mit diesem Motiv gespielt hat, zeigt sein Brief an Ernst Benedikt Kietz vom 6. (10.) September 1842, in dem er über die seinerzeit Carlo Dolci zugeschriebene Madonna Addolorata zu Aussig schreibt: »das Bild hat mich außerordentlich entzückt, u. hätte es Tannhäuser gesehen, so könnte ich mir vollends ganz erklären, wie es kam, daß er sich von Venus zu Maria wandte, ohne dabei zu sehr von Frömmigkeit hingerissen zu sein« (SB II, 153).
    Wagner hat das selbst in seinem Aufsatz Über die Aufführung des ›Tannhäuser‹ (1852) angedeutet. Nach der Rückkehr auf die Wartburg fülle die Liebe zu Elisabeth Tannhäuser als »allverzehrendes Lebensfeuer« aus. »Mit diesem Feuer, dieser Inbrunst, genoß er einst die Liebe der Venus, und unwillkürlich muß er erfüllen, was er ihr beim Abschied frei gelobte: ›gegen alle Welt fortan ihr muthiger Streiter zu sein‹.« Beim Sängerkrieg »kämpft sein Gefühl nur für seine Liebe zu Elisabeth, als er endlich hell und laut sich als Ritter der Venus bekennt.« (GS V, 153) Bis zu diesem Bekenntnis stimmt auch Elisabeth Tannhäusers Liebesbotschaft verhüllt zu. Bezeichnend ihre Reaktion auf seine Preisung der ›genießenden‹ Liebe beim Sängerkrieg: »Elisabeth macht eine Bewegung, ihren Beifall zu bezeigen; da aber alle Zuhörer in ernstem Schweigen verharren, hält sie sich schüchtern zurück.« (GS II,23)
    Wenn aber Tannhäuser seine Abkehr vom Venusberg nicht als einen radikalen Bruch mit der von Venus verkörperten Liebesform versteht, warum hat er ihn überhaupt verlassen? Im ersten seiner drei großen Preisgesänge auf Venus, deren begeisterter Flug sich doch jedesmal schwermütig senkt, heißt es:
    Nach Freude, ach! nach herrlichem Genießen
verlangt’ mein Herz, es dürstete mein Sinn:
da, was nur Göttern einstens du erwiesen,
gab deine Gunst mir Sterblichem dahin. –
Doch sterblich, ach! bin ich geblieben,
und übergroß ist mir dein Lieben;
wenn stets ein Gott genießen kann,
bin ich dem Wechsel unterthan;
nicht Lust allein liegt mir am Herzen,
aus Freuden sehn’ ich mich nach Schmerzen:
aus deinem Reiche muß ich fl ieh’n, –
o, Königin, Göttin! Laß mich zieh’n! (GS II, 6)
    Tannhäuser sehnt sich – ein Wagnersches Urmotiv, das uns schon in den Feen begegnete – aus der Ewigkeit des pervertierten Paradieses in die Zeit, in die Welt der Sterblichkeit, des Wechsels und der Schmerzen zurück:
    Die Zeit, die ich hier weil’, ich kann sie nicht
ermessen: Tage, Monde giebt’s für mich
nicht mehr, denn nicht mehr sehe ich die Sonne,
nicht mehr des Himmels freundliche Gestirne; –
den Halm seh’ ich nicht mehr, der frisch ergrünend
den neuen Sommer bringt; die Nachtigall
nicht hör’ ich mehr, die mir den Lenz verkünde –
hör ich sie nie, seh’ ich sie niemals mehr! (GS II,5 f.)
    Der überzeitlichen Seligkeit ist Tannhäuser bei Wagner ebenso überdrüssig wie bei Tieck und in Heines parodistischer Version der Legende. Auch Heines Tannhäuser ist vor Seligkeit »krank« geworden: »Ich schmachte nach Bitternissen«, sagt er zu Venus.
    Ich habe zu viel gescherzt und gelacht,
Ich sehne mich

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