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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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wenngleich Manfred nicht dieselbe idealistische Charakterstärke wie Rienzi zeigt, sondern der Prophetengestalt der Sarazenin bedarf, die ihn »von Sieg zu Sieg bis zum Throne« führt (GS IV, 270) – eine verblü ff ende Parallele zu Schillers Jungfrau von Orleans , die überhaupt durch fast alle Dramen Wagners geistert.
    »Ich entwarf demnach den Plan zu einer größeren fünfaktigen dramatischen Dichtung, welche vollkommen sich zugleich für musikalische Komposition eignen sollte. Die Anregung zu der Er fi ndung einer weiblichen Haupt fi gur von höchst romantischer Bedeutung [der Sarazenin Fatima, einer von Manfred leidenschaftlich geliebten natürlichen Tochter Friedrichs II., also seiner Halbschwester] entnahm ich der geschichtlichen Tatsache, daß der von jeder Seite verratene, von der Kirche geächtete und von allem Anhange verlassene jugendliche Manfred auf seiner Flucht durch Apulien und die Abruzzen von den Sarazenen in Luceria enthusiastisch aufgenommen, unterstützt und von Sieg zu Sieg bis zu seinem Triumphe geleitet wurde. Schon damals erfreute es mich, im deutschen Geiste die Anlage zu erblicken, welche über die engeren Schranken der Nationalität zu einem Erfassen des rein Menschlichen in jedem fremden Gewande hinleitet und ihn mir so dem griechischen Geiste verwandt erscheinen ließ. In Friedrich II. zeigte sich mir die Blüte dieser Anlage; der blonde Deutsche aus altschwäbischem Stamm, als Erbe des normannischen Reiches von Sizilien und Neapel, der italienischen Sprache ihre erste Ausbildung gebend, den Grund zur Entwickelung der Wissenschaften und Künste dort legend, wo bisher nur kirchlicher Fanatismus und feudale Roheit miteinander im Kampfe waren, an seinem Hofe die Dichter und Weisen der orientalischen Reiche, die Anmut arabischer und persischer Elemente des Lebens wie des Geistes um sich vereinigend –, er, der zum Ärger des römischen Klerus seinen Kreuzzug, auf welchem er von diesem an den ungläubigen Feind verraten wurde, durch einen Friedens- und Freundschaftsabschluß mit dem Sultan beendigte, welcher in Palästina den Christen alle Vorteile gewährte, wie sie kaum der blutigste Krieg hätte gewinnen können – dieser wundervolle Kaiser erschien mir nun, im Banne derselben Kirche und endlich im trostlos vergeblichen Kampfe gegen die wütende Beschränktheit seines Jahrhunderts als der höchste Ausdruck des deutschen Ideals.« (ML 221 f.)
    Das Deutsche als kosmopolitisches Ideal! Dieses Ideal weist auf die Weimarer Klassik, auf Goethes Idee der Weltliteratur und seinen West-östlichen Divan zurück, der die gleiche arabische und persische Poesie ins ›Westliche‹ überträgt wie Wagner zufolge Friedrich II. an seinem weltliterarisch ausgerichteten Musenhof – einem mittelalterlichen Weimar. Dass dieser Hof ein Friedensimperium begründet, in dem die Religionen des Morgen- und Abendlandes in wechselseitiger Toleranz verbunden sind, erinnert an Lessings Nathan der Weise , mit dem die Sarazenin auch durch das Motiv des verhinderten Inzestes (zwischen Manfred und Fatima) eng verbunden ist. Aber auch das Junge Deutschland geistert noch einmal durch diesen Libretto-Entwurf. Der Staat Friedrichs II. ist eine mittelalterliche Reprojektion von Heinrich Laubes Utopie einer die bisherigen nationalen Schranken überwindenden Universalrepublik.
    Wagner bemerkt in Eine Mittheilung an meine Freunde , er habe das Geschehen der Sarazenin in der »Beleuchtung eines historischen Sonnenuntergangsscheines« gesehen (GS IV, 271). In seiner Schrift Die Wibelungen (erschienen 1850) vergleicht Wagner das mittelalterliche Kaisertum dem Wachsen und Welken einer P fl anze. In Friedrich I. gelangte es zur höchsten Blüte, doch »mit ihm welkte die Blume; in seinem Enkel Friedrich II., dem geistreichsten aller Kaiser, verbreitete sich der wundervolle Duft der sterbenden wie ein wonniger Märchenrausch durch alle Welt im Abend- und Morgenlande, bis mit dem Enkel auch dieses letzten Kaisers, dem jugendlichen Konrad, der entlaubte, abgewelkte Stamm der P fl anze mit allen ihren Wurzeln und Fasern dem Boden entrissen und vertilgt wurde.« (GS II, 152) Der ›historische Sonnenuntergangsschein‹ lag für Wagner aber seiner späteren Überzeugung nach auch auf der Gattung der großen historischen Oper. »Mit der Sarazenin war ich im Begri ff e gewesen, mehr oder weniger in die Richtung meines Rienzi mich zurückzuwerfen, um eine große fünfaktige ›historische‹ Oper zu verfertigen.« Von dieser wird ihn

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