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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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Für Tannhäuser jedoch ist die Liebe eine psycho-physische Einheit; ihr Wesen wird nach seiner Überzeugung durch die Trennung von geistigem und sinnlichem Eros zerstört. Als Walther von der Vogelweide (mit dem historischen Minnesänger hat dieser säuselnde Poet ebenso wenig gemein wie mit Stolzings ›Lehrer‹ in den Meistersingern ), der die schwächlich-konventionelle Minneauffassung am reinsten repräsentiert, Tannhäuser anmaßend die Unkenntnis des wahren Wesens der Liebe vorhält, entgegnet dieser höhnisch: »Wenn du in solchem Schmachten bangest, / versiegte wahrlich wohl die Welt.« (GS II, 24) Mit anderen Worten: eine Menschheit, die sich von einer Liebesauffassung leiten ließe, welche in der körperlichen Vereinigung nur »frevle Leidenschaft« (GS II, 23) sieht, würde zugrunde gehen. Anbetung gebührt nur Gott und der überirdischen Welt.
    Doch was sich der Berührung beuget,
euch Herz und Sinnen nahe liegt,
was sich, aus gleichem Sto ff erzeuget,
in weicher Formung an euch schmiegt, –
dem ziemt Genuß in freud’gem Triebe,
und im Genuß nur kenn’ ich Liebe. (GS II,24)
    Das ist reinste jungdeutsche Ideologie! Durch die anmaßende Impotenz der – nur altbekannte Klischees wiederholenden – Hofpoeten aufs äußerste gereizt, bekennt Tannhäuser sich endlich zu Venus als seinem Liebesideal. Seine Venus-Hymne, die den Wettkampf in »allgemeinem Aufbruch und Entsetzen« enden lässt (GS II, 25), ist der radikale Gegenpol zu dem Lied Wolframs von Eschenbach, das den Sängerstreit einleitete. Auch dieses Preislied gilt der Venus – freilich nicht der Venus Cypria, der sinnlich genießenden, sondern der
Venus Urania, der geistig-entsagenden Liebe, die sich für Wolfram im Abendstern (= Venus) verkörpert. Dieser Venus aber ist allein Sammlung und Andacht angemessen.
    Tannhäusers einstige Flucht aus der Welt einer fl ach-konventionellen Minnekultur bedeutete gewissermaßen die Konversion vom Hochmittelalter mit seiner sublimierten Liebesauffassung zum Sinnenland der Antike, das nur noch aus dem ›Untergrund‹ wirkt. Dass die alten Götter immer noch aus ihrem Exil das menschliche Leben zu beein fl ussen streben, ja es durch ihr apokryphes Wirken vor der Verödung bewahren, zeigen die Worte der Venus zu Tannhäuser, die im Text der Gesammelten Schriften (der von der komponierten Pariser Fassung beträchtlich abweicht) lauten:
    Ach! kehrtest du nicht wieder,
dann träfe Fluch die Welt;
für ewig läg sie öde,
aus der die Göttin schwand! (GS II,10)
    Auf fast paradoxe Weise werden die Worte, die sich weniger deutlich schon im ursprünglichen Text fi nden, bestätigt durch das Lied des Hirten zu Beginn der dritten Szene (»Frau Holda kam aus dem Berg hervor, / zu ziehen durch Flur und Auen«; GS II, 11). Auch der Hirt, der doch im Gegensatz zum künstlichen Paradies des Venusbergs das Paradies der verlorenen Unschuld verkörpern soll, träumt einen »holden Traum« (GS II, 12), d. h. einen Traum von Holda-Venus. Tannhäuser, soeben der Wollusthölle entronnen, hört als erstes – in jener Gegenwelt zum Venusberg – ein naives Loblied auf die segensreichen Kräfte der Liebesgöttin. Denn mit ihr ist Holda identisch, wie Wagner ausdrücklich in seiner Vorbemerkung zum Erstdruck des Tannhäuser -Textbuchs hervorhebt, die deutlich durch Heines Elementargeister inspiriert ist: »Die altgermanische Göttin Holda, die freundliche, milde und gnädige, deren jährlicher Umzug durch das Land den Fluren Gedeihen und Fruchtbarkeit brachte, mußte mit der Einführung des Christentums das Schicksal Wodans und aller übrigen Götter teilen, deren Dasein und Wunderkräfte, da der Glaube an sie im Volke zu tief wurzelte, zwar nicht gänzlich bestritten, deren frühere segenreiche Einwirkungen jedoch verdächtigt und zu bösartigen umgebildet wurden. Holda ward in unterirdische Höhlen, in das Innere von Bergen verwiesen; ihr Auszug ward ein unheilbringender, ihr Gefolge ähnlich dem wilden Heere. Später (während der Glaube an ihr mildes, naturbelebendes Walten bei dem niedren Volke unbewußt noch fortlebte [siehe den Gesang des Hirten]) ging ihr Name sogar in den der Venus über, an welchen sich alle Vorstellungen eines unseligen, zu böser Lust verlockenden zauberischen Wesens ungehindert anknüpften. Als einer ihrer Hauptsitze ward in Thüringen das Innere des Hörselberges bei Eisenach bezeichnet; dort war der Frau Venus Hofhaltung der Üppigkeit und Wollust.« (SS XVI, 186)
    Aus dem vom Christentum als

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