Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Akkorde stärker, und glühende Düfte wehten daher, und Bilder üppigen Liebesglücks fl ammten in dem aufgegangenen Eden aller Lust.«
Im Laufe der Zeit geht den Sängern die »Ruchlosigkeit der Lieder« Ofterdingens auf, und mit Ausnahme Wol ff rambs, »der sich kein Urteil erlaubte«, erklären sie die Weise, wie Ofterdingen die Schönheit Mathildes preist, »für heidnisch und abscheulich«. Hier sind wir schon ganz in der Nähe von Tannhäusers Verhältnis zu Elisabeth in Wagners Oper. Das Wort vom »Eden aller Lust« spielt auf den Venusberg an, den Nasias später besingt. Ofterdingen ist freilich nicht selber im Venusberg gewesen, sondern er projiziert all seine erotischen Wünsche und Vorstellungen auf Mathilde. Diese ist also nicht wie Elisabeth im Tannhäuser der Gegenpol zu Venus. Das in der romantischen Dichtung sonst so weitverbreitete Motiv des Schwankens zwischen himmlischer und irdischer Liebe, verkörpert durch zwei gegensätzliche Frauentypen, hat im Kampf der Sänger nur periphere Bedeutung.
Die Idee des Venusbergs und die Tannhäuser-Legende spielen wie gesagt auch in Heines Essay Elementargeister eine zentrale Rolle. Er entwickelt hier eine Idee, die er in seiner Schrift Die Götter im Exil (1853) noch einmal aufgreifen und weiterführen wird: einige jener Elementargeister seien durch eine »Transformation der altheidnischen Götter« entstanden, die sich nach dem Siege Christi ins Exil der »unterirdischen Verborgenheit« zurückgezogen hätten, »wo sie mit den übrigen Elementargeistern zusammenhausend, ihre dämonische Wirtschaft treiben«. Nun folgt Heines Nacherzählung der Tannhäuser-Sage: »Am eigentümlichsten, romantisch wunderbar, klingt im deutschen Volke die Sage von der Göttin Venus, die, als ihre Tempel gebrochen wurden, sich in einen geheimen Berg fl üchtete, wo sie mit dem heitersten Luftgesindel, mit schönen Wald- und Wassernymphen, auch manchen berühmten Helden, die plötzlich aus der Welt verschwunden, das abenteuerlichste Freudenleben führt. […] Zum Glück, unfern des Eingangs, hält Wache ein alter Ritter, geheißen der getreue Eckart; er steht gestützt auf seinem großen Schlachtschwert […] und er warnt dich betrübsam vor den zärtlichen Gefahren, die deiner im Berge harren.« Gewiss denkt Heine hier an Tiecks Erzählung Der getreue Eckart und der Tannenhäuser (1799). Auch dort begegnen wir der Vorstellung von der Venus im Exil. Als solche gibt sie sich in Wagners Oper selbst aus, als sie »im heftigsten Zorne« Tannhäuser freigibt:
Hin zu den kalten Menschen fl ieh’,
vor deren blödem, trübem Wahn
der Freude Götter wir ent fl oh’n
tief in der Erde wärmenden Schoos. (GS II, 9)
Das gemahnt fast noch an ›jungdeutsche‹ Emanzipation des Fleisches und lässt an die Karnevalsrevolution gegen das Liebesverbot des teutonischen Statthalters Friedrich in Wagners zweiter Oper denken.
Bezeichnenderweise erfreute sich die Tannhäuser-Ballade des 15./16. Jahrhunderts besonderer Beliebtheit bei der Generation des ›Jungen Deutschland‹. Ihr vollständiger Abdruck in Heines Salon ist dafür ein deutliches Signal. Sie wurde den Jungdeutschen zum Spiegel ihrer eigenen Tendenzen. Die Polemik gegen romantischen Mystizismus, kirchlichen Despotismus und sinnenfeindliche Moral konnte sich leicht auf sie berufen. Die Wertvorstellungen des ›Jungen Deutschland‹, die Wagner in seiner zweiten Oper Das Liebesverbot (1836) durchaus teilt, scheinen auch im Tannhäuser noch unverkennbar durch. Der Statthalter Friedrich, der schließlich selbst von Eros gebannte »Liebesantipode« (SS XI,97) aus dem Liebesverbot , wird im Tannhäuser gewissermaßen durch den Papst abgelöst; an die Stelle des Liebesverbots und der Verurteilung des Liebesdelinquenten zum Tode tritt die ewige Verdammung dessen, der sich der »bösen Lust« ergeben hat.
Der Parallelen des Tannhäuser zu Wagners Jugendoper und zur Bewegung des ›Jungen Deutschland‹ überhaupt sind aber noch mehr. Tannhäuser fl ieht aus der Unfreiheit gesellschaftlicher und poetischer Konventionen, die zur Repression des Liebesgenusses zwingen, in die schrankenlose erotische Freiheit des Venusberges – aus dem Mittelalter in die Antike. Die Wartburgsänger, in deren Gesellschaft er es nicht mehr aushielt und die ihn nach seiner Rückkehr in die Welt erneut durch ihre anti-erotischen Liebesgesänge provozieren, verherrlichen die entsinnlichte, die Möglichkeit geschlechtlicher Erfüllung verleugnende »hohe Minne«.
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