Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Spannungen zu entziehen. Im April fängt Minna jedoch einen Brief Wagners an Mathilde mit dem Titel »Morgenbeichte« ab (der die Adressatin nie erreichen sollte), aus dem sie den ehebrecherischen Charakter der Beziehung ableiten zu können glaubt, obwohl er mehr ein Brief über Goethes Faust und die gegensätzlichen Ansichten Mathildes und Wagners zu demselben als eine Liebeserklärung ist (SB IX, 228–231). Die immer unerträglicher werdende Spannung zumal zwischen den beiden Frauen und Minnas rasende Eifersucht zwingen Wagner im August 1858, das »Asyl« aufzugeben und sich von seiner Frau zu trennen. Am 17. August 1858 reist er über Genf nach Venedig, wo er – fl ankiert von der sich fortsetzenden Korrespondenz mit Mathilde – im Palazzo Giustiniani die Komposition des Tristan , d. h. des zweiten Akts fortsetzt. Das bedeutet das Ende des fast ein Jahrzehnt dauernden Züricher Exils (von Mai 1849 bis August 1858), das Wagner nun für mehr als ein halbes Jahrzehnt ein ›unbehaustes‹ Leben bescheren wird.
Minna überwacht indessen in Zürich die Räumung des »Asyls« und zieht sich anschließend am 2. September nach Dresden zurück – nicht ohne zuvor Mathilde Wesendonck einen verzweifelt-gehässigen Abschiedsbrief ins Haus zu schicken: »Geehrte Frau! Mit blutendem Herzen muß ich Ihnen vor meiner Abreise noch sagen, daß es Ihnen gelungen ist, meinen Mann nach beinahe 22jähriger Ehe von mir zu trennen. Möge diese edle Tat zu Ihrer Beruhigung, zu Ihrem Glück beitragen.« Doch die Geschichte von Wagners Ehe mit Minna ist damit noch nicht zu Ende. Als er im Herbst 1859 nach Paris übersiedelt, ist Minna, von Wagner inständig ersucht, mit Hund und Papagei wieder an seiner Seite. Ihr Entsetzen darüber, dass er wieder einmal völlig über seine Verhältnisse lebt, die Mietwohnung in der Nähe des Arc de Triomphe auf eigene Kosten aufwendig hat renovieren lassen und sich mehrere Hausangestellte leistet, führt sogleich zum Zwist. Die fortgesetzten Spannungen haben nach seinem Abschied von Paris im April 1861 die neuerliche Trennung zur Folge. Noch einmal kommt es im Februar 1862 in Biebrich am Rhein, wo Wagner eine wie üblich viel zu teure Wohnung gemietet hat, zu einem wegen der gleich am zweiten Tag ausbrechenden Streitereien nur noch ganze zehn Tage dauernden Zusammenleben. Als Wagner Ende des folgenden Monats – dreizehn Jahre nach der Revolution – wieder volle Amnestie in Deutschland erhält, ho ff t Minna vergebens, Wagner werde nach Dresden zurückkehren, um hofkapellmeisterlich wieder da anzufangen, wo er bei der Revolution aufgehört hatte. Die gesetzliche Scheidung lehnt sie trotz des endgültigen Scheiterns ihrer Ehe im Juni ein für allemal ab. Anfang November 1862 kommt es in Dresden zur letzten Begegnung zwischen Wagner und seiner Frau. Am 25. Januar 1866 ist Minna in Dresden an ihrem langjährigen Herzleiden gestorben.
Das Ende des Züricher »Asyls« bedeutet nicht das Ende der Beziehung Wagners zum Ehepaar Wesendonck. Ihr persönlicher Verkehr und Briefwechsel wird auch nach dem Eklat weiter gep fl egt. Für Mathilde schreibt er – nach Art von Goethes Diarium seiner Italienischen Reise für Charlotte von Stein – ein Tagebuch aus Venedig. Eindringlich lässt er sie an seinen künstlerischen Plänen Anteil nehmen, berichtet ihr von der Vorbereitung des Tannhäuser in Paris, zu dessen Aufführung Otto Wesendonck im März 1861 eigens anreist (wie auch 1868 zur Uraufführung der Meistersinger in München). Mathilde unterstützt später die Wagner-Stipendienstiftung und bleibt auch nach Wagners Tod mit Bayreuth in Kontakt. Ihre Bedeutung für sein Gefühlsleben in der Entstehungszeit des Tristan wurde von ihm mit Rücksicht auf Cosima freilich bedeutend heruntergespielt, wie auf deren Veranlassung auch Wagners Briefwechsel mit Mathilde für die Publikation frisiert wurde. Otto Wesendonck hat Wagner mit beispielloser Generosität in Zürich nicht nur mehrfach seine Schulden beglichen und das »Asyl« für ihn errichtet, sondern auch nach der – durch die Eifersucht Minnas in einem Eklat gipfelnden – A ff äre mit seiner Frau Wagner mehrfach unterstützt und 1859 die Rechte an den ersten drei Teilen des Ring gekauft, die er später ebenso großmütig an den Schott-Verlag wie an Ludwig II. abtrat. (Die freundschaftliche Beziehung zwischen dem Hause Wagner und dem Hause Wesendonck setzte sich auch in der nächsten Generation beider Häuser fort.)
Abb. 19 : Das »Asyl« in
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