Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Schopenhauers Kapitel Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unsers Wesens an sich (1819), heißt es, das Sterben sei »der Augenblick jener Befreiung von der Einseitigkeit einer Individualität, welche nicht den innersten Kern unsers Wesens ausmacht, vielmehr als eine Art Verirrung desselben zu denken ist: die wahre ursprüngliche Freiheit tritt wieder ein, in diesem Augenblick, welcher […] als eine restitutio in integrum betrachtet werden kann.« Zu dieser ›restitutio in integrum‹ steht aber der Eros für Schopenhauer in diametralem Gegensatz. »Selbsterhaltung ist sein erstes Streben«, sein Prinzip der »Egoismus«. Bei Wagner nun – die symbolische Identität von Liebes- und Todestrank im Tristan ist dafür das tiefgründige, aus der Tradition des Tristansto ff s nicht ableitbare Zeichen – tritt Eros aus der Dienstbarkeit des ›selbsterhaltenden‹ Lebens heraus, wird eins mit der Sehnsucht nach dem Tode, nach der Aufhebung des Individuums, nach dessen Einheit mit dem All (»selbst – dann / bin ich die Welt«, singen die Liebenden im zweiten Aufzug; GS VII, 45).
Der Tod ist laut Schopenhauer »die große Gelegenheit, nicht mehr Ich zu sein«. Das aber ist auch das Ziel der Liebe Tristans und Isoldes, die sich nur im Tode erfüllen kann. Deshalb tauschen sie die Identität (Isolde: »Du Isolde, / Tristan ich, / nicht mehr Isolde!« Tristan: »Du Tristan, / Isolde ich, / nicht mehr Tristan!« GS VII, 50), deshalb sehnen sie sich nach der Aufhebung des »süßen Wörtleins: und« (GS VII, 47), das ihre Namen voneinander trennt, also ausdrückt, dass sie noch nicht eins, noch Ich und Du sind. Durcheinander wollen sie ihre Entselbstung erfahren. Nicht nur der Tod – auch die Liebe, der Tod in der Liebe, die Liebe im Tod ist ›die große Gelegenheit, nicht mehr Ich zu sein‹. Das ist die im Geiste Schopenhauers gegen Schopenhauer gerichtete Botschaft des Tristan . Sosehr Tristan von Schopenhauer geprägt ist, dessen Pessimismus folgt er nicht; dieser weicht vielmehr einer trunkenen A ffi rmation des Weltgrundes, die sich am Schluss des Musikdramas überwältigend manifestiert. Isoldes Liebestod hat nichts gemeinsam mit dem Erlöschen alles Begehrens im Nirwana, das nach Schopenhauer nur durch Entsagung erreicht wird. Von dieser Idee ist Wagner in seinem venezianischen Tagebuch für Mathilde Wesendonck vom 1. Dezember 1858 und im Entwurf eines Briefs an Schopenhauer aus der gleichen Zeit – den er dann doch nicht abzusenden wagte – deutlich abgerückt. Er versucht dem Philosophen »eine Anschauung mitzuteilen, in der sich mir selbst in der Anlage der Geschlechtsliebe ein Heilsweg zur Selbsterkenntnis und Selbstverneinung des Willens […] darstellt« (SS XII, 291). Hier interpretiert er gewissermaßen Schopenhauers »Metaphysik der Geschlechtsliebe« im Geiste von dessen Philosophie des Todes um.
Nicht nur mit dem Tod ist Eros verschwistert, sondern Wagner identi fi ziert ihn auch mit der Form der Liebe, die Schopenhauer ihm diametral entgegensetzt: der mitleidverwandten Caritas. Sie ist für den Philosophen »reine Liebe«, während der Eros »Selbstsucht« bleibe. Freilich gibt Schopenhauer zu, dass »Mischungen von beiden« statt fi nden können. Eine solche Mischung aber stellt die Liebe Tristans und Isoldes von ihrem Ursprung her zweifellos dar. »Seines Elendes / jammerte mich« – so begründet Isolde die einstige Schonung des Feindes Tristan, an dem sie den Tod Morolds mit der Wa ff e hätte rächen müssen, doch im Moment, da er ihr in die Augen blickt, ist sie dazu außerstande: »das Schwert – das ließ ich fallen« (GS VII, 11). Das Mitleid wird zur Keimzelle ihrer Liebe.
In seinem Epilogischen Bericht zum Ring hat Wagner die Konstellation des Tristan mit derjenigen des Schlussteils der Tetralogie verglichen: der Angelpunkt der Handlung sei hier wie dort der gleiche, nämlich, »daß Tristan wie Siegfried das ihm nach dem Urgesetze bestimmte Weib, im Zwange einer Täuschung, welche diese seine That zu einer unfreien macht, für einen Anderen freit, und aus dem hieraus entstehenden Misverhältnisse seinen Untergang fi ndet«. In dieser Gemeinsamkeit des Tristan und der Götterdämmerung »lag für mich der Anreiz, diesen Sto ff gerade jetzt auszuführen, nämlich als einen Ergänzungsakt des großen, ein ganzes Weltverhältniß umfassenden, Nibelungenmythus« (GS VI, 268).
Isoldes einstiger Verlobter Morold war nach Kornwall gezogen, um den Irland angeblich
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