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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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skandinavischen Mythologie: einer neuen Entstehung der Welt nach der Götterdämmerung« (CT I, 756). Dem zyklischen Denken des Mythos ist die Vorstellung eines absoluten Weltendes fremd, für ihn besteht die Geschichte der Welt in periodischer Zerstörung und Erneuerung. Wagner scheint freilich, nach seinen Schriften ( Oper und Drama ) zu schließen, der Überzeugung gewesen zu sein, dass dieser Kreislauf der Geschichte einmal zu seinem Stillstand kommt, doch der Ring lässt dieses endgültige Ende noch nicht vorhersehen. Das letzte Motiv der Tetralogie ö ff net das Tor zu einer neuen Weltgestalt.
    Das emphatische Instrumentalmotiv, mit dem der Ring schließt, hat Wagner, um über seine Bedeutung keinen Zweifel zu lassen, nur an zwei Stellen der Tetralogie verwendet: Es ist das Motiv, das einst Sieglinde anstimmte, als ihr von Brünnhilde verheißen wurde, sie werde Siegfried gebären. Dieses erst in Brünnhildes Schlussgesang wieder aufgenommene und in den Schlusstakten der Götterdämmerung den Geigen anvertraute Motiv redet eine deutlichere Sprache als das Textende. Es wie üblich als Erlösungsmotiv zu bezeichnen geht an seiner Semantik vorbei, es ist vielmehr das Motiv der Geburt und Wiedergeburt. Bezeichnenderweise hat Wagner unter die erste musikalische Version des Schlusses der Götterdämmerung vom 10. April 1872 die Worte geschrieben: »So geschehen und geschlossen am Tage, da mir vor 7 Jahren mein Loldchen geboren wurde.« Er bezieht also das abschließende Motiv auf die Geburt seiner ersten Tochter Isolde! Wie ein Regenbogen der Ho ff nung steigt es am Ende der Götterdämmerung über den Motiven des in der Feuer fi guration Loges aufgelösten Walhall-Motivs und des Wellengesangs der Rheintöchter – der Musik der Naturelemente – leuchtend auf und verkündigt die Reinigung der Welt, die restitutio in integrum . Diese drückt sich sinnfällig in der Rückkehr des musikalischen Geschehens aus chromatischer Trübung zum reinen Klang der ursprünglichen Intervallverhältnisse aus. Mit ihnen kehrt die Vollkommenheit der Anfänge wieder, und mit dem »strahlenden Stern des Rhein’s« (GS VI, 253), in den sich der von den Rheintöchtern – nach Brünnhildes Weisung – ›aufgelöste‹ Ring zurückverwandelt, steigt der Stern der Ho ff nung auf eine neue Welt über der Stätte der apokalyptischen Verwüstung auf.

Trügerisches Züricher »Asyl« – Konversion zu Schopenhauer und Liebe zu Mathilde Wesendonck
    Der Ring des Nibelungen ist literarisch abgeschlossen und musikalisch schon weithin konzipiert, als die wichtigste intellektuelle Erfahrung seines Lebens den philosophisch-ästhetischen Horizont Wagners entscheidend verändert: die wiederholte Lektüre von Die Welt als Wille und Vorstellung (1819), dem philosophischen Hauptwerk von Arthur Schopenhauer (1788–1860), seit dem Herbst 1854, die kurioserweise auf eine Anregung des revolutionären Sozialisten Georg Herwegh zurückgeht – und den Abschied Wagners von der Revolution bedeutet. Zweifellos hängt die große Krise und Unterbrechung der Komposition des Ring während der Arbeit an Siegfried und das ›Vorziehen‹ von Tristan und den Meistersingern , die bereits von der Philosophie Schopenhauers imprägniert sind, mit der durch sie initiierten Wende in Wagners Denken zusammen. Er hat die Grundthesen Schopenhauers – mit einigen charakteristischen Abwandlungen – vollständig verinnerlicht, sowohl in seinem künstlerischen Werk als auch in seiner Theorie, ja in seiner Lebensanschauung, sofern ihm da nicht die eigene Natur einen Strich durch die Rechnung machte (aber selbst das wusste er schopenhauerisch zu drapieren).
    Der tiefgreifende Umbruch in seinem Denken – auf den zumal Nietzsche immer wieder hingedeutet hat –, der einen entschiedenen Gegensatz seiner neuen philosophischen, ästhetischen und politischen Anschauungen zu denjenigen seiner Züricher Kunstschriften zur Folge hat, ist von ihm freilich verschleiert, nie o ff en zugegeben worden – auch wohl vor sich selber nicht. Immer wieder hat er versucht, seine alten und seine neuen Maximen miteinander in Einklang zu bringen. Musterbeispiel ist sein Kommentar zu den Schlüssen der Götterdämmerung im sechsten Band seiner Gesammelten Schriften , wo er den von Feuerbach inspirierten ursprünglichen und den schopenhauerisierenden Schluss als in einem Sinne erdacht ausgibt. Nur weil die beiden Schlüsse in einem zu »tendenziösen Sinne« (GS VI, 255) konzipiert seien, habe er sie für

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