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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Borchmeyer
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die Vertonung der Dichtung durch einen o ff eneren ersetzt, welcher der Musik die wesentliche Aussage überlasse. Die beiden Grundthesen der Schopenhauerschen Philosophie lauten: die Welt ist einerseits die »Vorstellung« des erkennenden Subjekts, alles Erscheinende dessen Objekt – anderseits ist die Welt »Wille«, dieser das ›Ding an sich‹, aber als vernunft- und erkenntnislose Weltseele, Trieb, Begierde, Drang zu leben und sich im Kampf ums Dasein durchzusetzen. Für Schopenhauer ist alles Leben Leiden, jeglicher Optimismus eine »ruchlose« Denkart. Sein metaphysischer Pessimismus folgt gewissermaßen der mephistophelischen Anschauung: »alles, was entsteht, / ist wert, daß es zu Grunde geht« ( Faust , V. 1339 f.). In Natur- und Menschenleben herrschen nur Streit, Not, Kampf und Leid. Deshalb gibt es auch keinen Fortschritt in der Geschichte. Ziel des Menschen muss es sein, den Willen zum Leben zu überwinden, durch Askese in einen Zustand des »Nichtseins« (Nirwana) zu gelangen. Grundlage der Moral ist das Mitleid aufgrund der Erkenntnis und Erfahrung der Identität des eigenen mit dem fremden Ich. Angesichts der Leidverfallenheit der Welt gewinnt die Kunst, zumal die Musik, für Schopenhauer höchste Bedeutung. Sie ist ein (anders als die Askese freilich nur zeitweiliges) Quietiv des Willens, gründet im willenlosen Erkennen und intuitiven Erfassen der Ideenwelt im Sinne Platos durch den Intellekt als »reines Weltauge«. In ihren Hervorbringungen wiederholt die Kunst die Idee, deren höchste Erkenntnis dem Genie vorbehalten sei. Alle Künste werden überragt von der Musik, die nicht wie die anderen Künste Abbild der Idee, sondern des Willens selbst als des ›Dings an sich‹ ist.
    Kein Denken hat stärkere Spuren in Wagners Werk hinterlassen als dasjenige Schopenhauers. Nicht nur im Tristan , den Meistersingern und vor allem im Parsifal sind sie zu verfolgen, sondern auch in seinen theoretischen Schriften nach 1854. Die Kardinalthesen von Oper und Drama , die Mittel-Zweck-Relation zwischen Musik und Drama sowie die Idee der Sprachbedingtheit der Musik, mussten ihm seit seinem Studium der Philosophie Schopenhauers bedenklich erscheinen, verleiht diese Philosophie doch der Musik eine höhere metaphysische Würde als den anderen, an die Erscheinungswelt gebundenen Künsten. Auch der junge Nietzsche – mit dem Wagner gewissermaßen eine Allianz im Geiste Schopenhauers geschlossen hat – konnte sich mit der Theorie, dass die Musik das Mittel zum Zweck des Dramas sein solle, nicht ab fi nden. Darauf bezieht Wagner sich beim Korrekturlesen von Oper und Drama (für seine Gesammelten Schriften und Dichtungen ) in einem Gespräch mit Cosima am 11. Februar 1872: »Ich weiß, was Nietzsche darin nicht paßte, da ist auch das, was […] Schopenhauer gegen mich aufbrachte, was ich über das Wort sagte [nämlich über die Sprache als bedingenden Faktor der Musik]; damals wagte ich noch nicht zu sagen, daß die Musik das Drama produziert habe, obgleich ich es in mir wußte.« (CT I, 490) Tatsächlich hat Schopenhauer Wagner (dem er nie persönlich begegnet ist) durch François Wille mitteilen lassen, dass er seine Ansichten über das Verhältnis von Sprache und Musik in Oper und Drama nicht teile, lieber Mozart und Rossini treu bleibe.
    In einem Fragment aus dem Jahre 1874 hat Nietzsche ausdrücklich Wagners »ältere Lehre«, der zufolge die Musik das »Mittel« und das Drama der »Zweck« des Ausdrucks sei ( Oper und Drama ), von seiner »neueren Lehre« unterschieden, nach der Musik und Drama sich wie » Allgemeines und Beispiel « zueinander verhalten (NW 496 f.), denn nach Schopenhauer stellt die Musik – eine Stelle, die sowohl Wagner in seiner Beethoven -Festschrift (1870) als auch Nietzsche, unter Berufung auf ihn, in der Geburt der Tragödie zitiert haben – das »Herz der Dinge«, also »zu allem Physischen der Welt das Metaphysische, zu aller Erscheinung das Ding an sich dar« (SW 1, 104). Später wird Nietzsche in seiner Streitschrift Zur Genealogie der Moral (1887) den »theoretischen Widerspruch zwischen seinem [Wagners] früheren und seinem späteren ästhetischen Glauben« sarkastisch parodieren, wenn er ihm vorhält, er mache aus dem Musiker »eine Art Mundstück des ›An sich‹ der Dinge, ein Telephon des Jenseits«, ja einen »Bauchredner Gottes« (SW 5, 345 f.).
    Die Schopenhauer-Begeisterung Wagners ist gewissermaßen das philosophische Substrat einer neuen Liebesbeziehung in der

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