Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Züricher Exilzeit, die seine Ehe mit Minna in die schwerste Krise treibt, wenngleich sie (der Beziehung Goethes zu Charlotte von Stein vergleichbar) ein platonisch literarisiertes Verhältnis ist, mit poetischen Illusionen und, wie Wagners Tagebuchblätter und Briefe zeigen, von einem hochstilisierten Entsagungs- und Resignationspathos in Schopenhauers Spuren aufgeladen. Ein ästhetischer Schatten zumal der Kon fi guration des entstehenden Tristan , weniger deren Vor- als ihr Nachbild! Im Februar 1852 lernt Wagner den hochbegüterten Seidenhändler Otto Wesendonck (1815–1896) und seine Frau Mathilde (1828–1902) kennen, zu der sich allmählich eine Liebesbeziehung entwickelt, die zwischen dem Herbst 1857 und Herbst 1858 – während der Komposition der beiden ersten Akte des Tristan (den Gesamtentwurf des ersten Akts überreicht Wagner am letzten Tag des Jahres 1857 Mathilde mit einem schwärmerischen Widmungsgedicht) – ihren Höhepunkt erreicht und zum ersten Mal in Wagners Liebesleben konkrete künstlerische Auswirkungen hat. Er führt Mathilde in die Philosophie Schopenhauers ein, nennt sie nach seinem damaligen, durch Schopenhauer ihm nahegebrachten und an langen Abenden mit der Freundin gelesenen Lieblingsdichter »Frau Calderon«.
Im Mai/Juni 1853 schreibt er für die Beethoven-begeisterte Mathilde eine Klaviersonate in As-Dur (WWV 85) mit dem Motto »Wißt ihr wie das wird?« – der Nornen-Fomel (GS VI, 179 f.), die Brünnhilde im Schlussgesang der Götterdämmerung aufnimmt (GS VI, 252). 1857/58 entstehen gleichzeitig mit dem Beginn der Tristan- Komposition (und bei zwei Liedern dezidiert als »Studie« zu Tristan ausgegeben) die fünf Lieder auf Texte von Mathilde Wesendonck (WWV 91). Das als zweites entstandene Lied Träume fi ndet (ganz ähnlich inszeniert wie später das Siegfried-Idyll für Cosima in Tribschen) als »Morgenmusik« (ML 575) zum Geburtstag von Mathilde in einer Fassung für Solovioline und Orchester im Treppenhaus der Villa Wesendonck seine Uraufführung.
Abb. 18 : Mathilde Wesendonck (1828–1902)
Ende April 1857 bezieht Wagner das sogenannte »Asyl«, ein von Otto Wesendonck für Wagner – damit er dort den Ring vollenden könne – erworbenes und restauriertes Häuschen in der Nachbarschaft der im Bau be fi ndlichen Villa Wesendonck. Hier entstehen Dichtung und erster Akt des Tristan sowie die Fünf Gedichte für eine Frauenstimme (die Wesendonck-Lieder). Am 5. September 1857 begegnen sich in der Villa Wesendonck und im »Asyl« – bei Wagners Rezitation der eben fertiggestellten Urfassung der Tristan -Dichtung und einer musikalischen Präsentation von Teilen des Ring , von Wagner deklamiert und gesungen und von Hans von Bülow am Flügel begleitet – die drei wichtigsten Frauen in Wagners Leben: Minna, Mathilde und Cosima, die – im August in Berlin mit Hans von Bülow getraut – auf ihrer Hochzeitsreise Zürich besucht. Cosima bekommt die Spannungen zwischen Minna, Mathilde und Wagner hautnah zu spüren und nennt die Liebesbeziehung zwischen den beiden letzteren in einem französischen Brief an Marie Wittgenstein verblü ff end desillusionierend »un amour né de l’ennui, de la vanité et du besoin d’argent«. Ironisch kanzelt sie alle Beteiligten ab – auch den ›Bankrotteur‹ Wagner: sie sei zu der Ansicht gelangt, »daß der berühmte Bankrott Wagners von dieser modernen Beatrice gedeckt wird, die ihrem Dichter den Himmel der materiellen Sicherheit und des uneingeschränkten Luxus einen Spalt weit geö ff net hat, die einzigen Werte, an die er vielleicht glaubt [!?]. Können Sie sich das säuerliche Gesicht von Frau Minna Wagner, das ruhmesstolze Aussehen von Herrn Wesendonck und die strahlende, bescheidene und süßlich hochgestimmte Miene der Goldfee [Mathilde] vorstellen?« (Franz Wilhelm Beidler, Cosima Wagner. Ein Porträt , Würzburg 2011, S. 135 f.) Im Juli 1858 besuchen Hans und Cosima von Bülow das »Asyl« noch einmal und geraten mitten in dessen Auflösungserscheinungen hinein, deren betretene Augenzeugen sie werden. (Sie verlassen Zürich erst am Tag vor Wagners eigenem Abschied vom »Asyl«.)
Nichts sollte trügerischer sein als das Züricher »Asyl«, nicht nur die Produktionsstätte des Tristan , sondern auch der Schauplatz der Ehekon fl ikte in den Häusern Wagner und Wesendonck aufgrund der immer o ff enkundigeren Liebe zwischen Wagner und Mathilde. Im Januar 1858 reist Wagner deshalb für einige Wochen nach Paris, um sich den häuslichen
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