Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
geschuldeten Zins einzutreiben. Doch Tristan tötete Morold im Zweikampf, und zum Hohn wurde den Iren das Haupt des Getöteten zurückgesandt. Kurwenal und die Schi ff smannschaft erinnern Isolde in ihrem Spottgesang an diese Schmach: »sein Haupt doch hängt / im Iren-Land, / als Zins gezahlt von Engeland« (VII, 8). Diese unfassbare Roheit demonstriert die Geringschätzung der Frau – selbst der zukünftigen Königin, die eben wie im Grunde schon Senta im Fliegenden Holländer , Sieglinde in der Walküre, Brünnhilde in der Götterdämmerung und noch Evchen in den Meistersingern eine ›verkaufte Braut‹ ist, nichts als ein (in ihrem Falle von der Schi ff smannschaft besonders zynisch behandeltes) Objekt, das erst durch seinen Besitzer Wert gewinnen wird. Zu den spezi fi schen Zügen von Wagners Dramaturgie der Geschlechtsliebe gehört der Spannungsgegensatz zwischen ihrem metaphysischen Potential und ihrer gesellschaftlichen Realität. Er zeigt sich vor allem in der Ambivalenz der weiblichen Hauptgestalten, die stets große Liebende sind, deren Liebe aber an den liebesfeindlichen Diktaten ihrer sozialen Umgebung zu zerschellen droht.
Wagners Frauengestalten sind einerseits Liebesheilige, Erlöserinnen, Heilsbringerinnen, anderseits Opfer einer von Herrschsucht und Besitzstolz geprägten Männerwelt, die sie demütigt, ausbeutet, zum Objekt ihrer Machtpläne erniedrigt. Und wiederholt sind es gerade die ›Erlöserinnen‹, die – wie Isolde – ihren Heilsweg durch Erniedrigung und Schande gehen müssen. Isoldes pantheistischer Schlussgesang, der sich in konzentrischen Kreisen vom Ich zum All dehnt, eine tönende Assumptio, welche die Titelheldin zu einer Liebesheiligen fast nicht mehr von dieser Welt verklärt – tatsächlich hat Wagner sie in ihrer »Liebes-Verklärung« wiederholt mit der von ihm bewunderten Assunta , der zum Himmel emporsteigenden Maria von Tizian in der Frari-Kirche zu Venedig, verglichen (CT II, 1029 u. ö.) –, steht in denkbar größtem Kontrast zum Bild der gedemütigten, ja verhöhnten Frau zu Beginn der Handlung.
Als der im Kampf gegen Morold verwundete Tristan später unter dem Namen Tantris nach Irland kam, so weiter die Vorgeschichte, um sich von der wegen ihrer Heilkünste berühmten Isolde kurieren zu lassen, wurde er von dieser an einer Scharte in seinem Schwert erkannt, in die sich genau der Splitter fügte, den sie im Haupt des erschlagenen Bräutigams gefunden hatte. In dem Moment, da sie nun mit diesem Schwert ausholte, um den Tod Morolds zu rächen, traf sie der Blick Tristans, der mit einem Schlage ihren Hass über das Mitleid in Liebe verwandelte. Der gesund nach Hause zurückgekehrte Tristan erschien indessen eines Tages wieder an Irlands Küste, um Isolde als Frau für seinen Oheim zu gewinnen: »für der zinsp fl ichtigen / Kornen Fürsten / um Irland’s Krone zu werben«, wie Isolde verächtlich bemerkt (GS VII, 12). Die Iren mussten, da der Schützer Morold tot war, diese »Schmach« dulden. Ihnen blieb keine andere Wahl, als mit dem mächtigen Gegner Frieden zu schließen und Isolde als Pfand dieses Friedens mit Tristan nach Kornwall zu senden, dessen »müden König« Marke sie zu heiraten hatte (GS VII, 12). Das geschah gegen den Willen Isoldes, die von Vater und Mutter in tiefer Verbitterung Abschied nahm: »von der Heimath scheidend / kalt und stumm« (GS VII, 3 f.).
In ebendieser Stimmung sehen wir sie zu Beginn des ersten Aufzugs: »wild verstört, / starr und elend« (GS VII, 4). Weniger dass sie mit einem verachteten, zinsp fl ichtigen Fürsten verheiratet werden soll, empört sie in ihrem tiefsten Inneren, sondern mehr, dass es ausgerechnet Tristan ist, der sie für einen anderen wie eine Beute wegführt: der Mörder ihres Verlobten, dem sie doch aus einer ihre ganze Existenz verwandelnden Liebe – durch den abgebrochenen Todesstreich wie ihre Heilkunst – das Leben doppelt geschenkt hat. Seit dem Moment, da sie das Schwert hat fallen lassen, weiß sie, und kein Zweifel: auch Tristan weiß es auf dem Grunde seiner Seele, dass sie füreinander bestimmt sind. Das für Isolde Ungeheuerliche ist nun, dass Tristan dieses Wissen verdrängt: »Mir erkoren, – mir verloren« (GS VII, 4).
Wie ist der Verrat Tristans an Isolde zu erklären? Vor der Wandlung durch den Trank war er vollkommen dem »Tag« hingegeben; in der Chi ff re des Tages sind alle Werte zusammengefasst, die Tristans Leben bisher bestimmten und die nun durch die Gegenwelt der Nacht als
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