Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rico, Oskar und das Herzgebreche

Rico, Oskar und das Herzgebreche

Titel: Rico, Oskar und das Herzgebreche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
Vom Netzwerk:
so vielen Rentnern auf einmal, oder er fürchtete sich vor den vielen dritten Zähnen. Es waren Gebisse dabei, gegen die selbst seine Riesenhauer aussahen wie Reiskörnchen.
    Irgendwo in der hummelnden Menge hob sich ein Arm und winkte wild. »Rico! Hier drüben, Junge!«
    Die Nüsschen waren gerettet.
    Â»Komm, schnell«, sagte ich zu Oskar.
    Der winkende Arm gehörte Herrn van Scherten. Seit er Witwer ist, hat er ein bisschen zugenommen, aber seine Glatze hatte er vorher schon, und seine zweiten Zähne hat er immer noch, alles tadellos gepflegt. Er ist total nett. Nett wie in: Ich hab dir Schokolade mitgebracht, Rico, meine Hannah kann’s ja nicht mehr. Der Tisch, an dem er saß, war mit einer Längsseite gegen eine Wand gerückt, für mehr hatte der Platz nicht gereicht. Wenn wir zur Bühne gucken wollten, würden wir die Hälse verdrehen müssen.
    Â»Hab dir Schokolade mitgebracht, Rico!«, rief der van Scherten. »Liegt aber noch im Auto, Andenken an meine Hannah, weißt schon. Hier, setzt euch zu mir. Dachte mir schon, dass ihr kommt, du und deine Mutter, und hab extra zwei Plätze frei gehalten. Brauchen wohl eher drei, wie’s aussieht, aber dein kleiner Kumpel da ist ja nur ’ne halbe Portion, also doch nur zweieinhalb, das kriegen wir hin, was?«
    Er rutschte ein Stück beiseite und patschte mit einer Hand einladend auf die Bank. Ich drückte Oskar auf den freien halben Platz und schob mich hinterher.
    Â»Nix für ungut, Kleiner, sagt man halt so, halbe Portion, ist nicht böse gemeint. Van Scherten mein Name, aus welchem Stall kommst du denn?« Er riss eine Hand in die Luft. Oskar duckte sich automatisch weg. »Nein, halt, lass mich raten, du bist der andere Held, das Entführungsopfer, was? Hast sicher Schreckliches durchgemacht, mein Junge, deinem Papa musses ja ganz, ganz dreckig gegangen sein! Aber ich sag immer, was uns nicht kaputtmacht, macht uns nur noch härter, und der Kopf und alles ist ja noch dran – ist doch noch alles dran, was?«
    Oskar starrte ihn ungläubig an. Ich wette, er kommt wirklich nicht viel unter Menschen.
    Herr van Scherten starrte zurück. »Doch was verloren? Zunge oder was? Ha! In der Presse hab ich das nicht so verfolgt und Fernsehen schau ich ja nicht. Kannst aber deinen Namen auf ein Stück Papier schreiben, die Finger hat der Schweinehund ja wohl nicht abgeschnibbelt, zeig mal her, na siehste, nun wart mal gerade, wo hab ich denn meinen Stift?«
    Er drehte ein Bingokärtchen um, schob es Oskar unter die Nase und griff neben sich, nach seiner längs über die Bank gehängten Anzugjacke. Oskar musterte ihn, als hätte er sich das mit den Außerirdischen doch noch anders überlegt. Das Bingokärtchen würdigte er keines Blickes.
    Â»Ich heiße Oskar«, sagte er mit fester Stimme, »und ich bin körperlich bei bester Gesundheit.« Er machte eine kleine Pause, bevor er hinzufügte: »Geistig auch.«
    Herr van Scherten, die Jacke schon in einer Hand, lächelte unsicher, und in dem Moment kam Mama, schob Oskar und mir unsere Kärtchen und die Bleistifte zu und pflanzte sich neben mich. »Herr van Scherten, Sie treue Seele!« Sie tätschelte ihm an unseren Rücken vorbei die Hand. »Danke fürs Platzfreihalten.«
    Â»Eine Wonne, was? Guck dir dieses Weibsbild an!« Herrn van Schertens begeisterter Schubs fegte Oskar um ein Haar rückwärts von der Bank. »Immer wieder eine wahre Wonne, mit der schönsten Dame der Stadt an einem Tisch sitzen zu dürfen!«
    Oskar schob sich wortlos und mit zusammengepressten Lippen wieder auf seinem Platz zurecht, während der van Scherten unauffällig seinen obersten Hemdenknopf aufzupfriemeln versuchte, damit Mama seine tolle silbergraue Brustbehaarung sehen konnte.
    Ich finde, die Haare wären besser auf seinem Kopf aufgehoben, aber ansonsten ist der van Scherten wirklich klasse, zumal er keine Nüsschen verträgt. Die machen nämlich, dass er keine Luft mehr kriegt, dafür aber rote Pusteln im Gesicht, aber erst, wenn es schon ganz kalkweiß geworden ist. Die kleine Glasschale mit dem Knabberzeugs stand noch völlig unangetastet auf dem Tisch. Während er mit Mama über unsere Köpfe hinweg zu schäkern begann, griffen Oskar und ich uns jeder eine Handvoll raus, warfen sie uns gleichzeitig in den Mund und studierten die Bingokärtchen. Mama hatte für

Weitere Kostenlose Bücher