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Rico, Oskar und das Herzgebreche

Rico, Oskar und das Herzgebreche

Titel: Rico, Oskar und das Herzgebreche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
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nicht mal die eigenen, aber das war ich gewohnt. Ich bin immer zu langsam und hab noch nie gewonnen. Es gewinnt nämlich nur derjenige, dessen Zahlen in der oberen Reihe mit den gezogenen Zahlen aus der Bingotrommel als erste komplett übereinstimmen. Der schreit dann –  
    Â»BINGO!«
    Die Grauen Hummeln johlten und brummelten, Herr van Scherten strahlte und wölbte die behaarte Brust, über die sich sein Hemd spannte wie ein geplatztes Sofakissen. Oskar sah mit gerunzelter Stirn Mama nach, als sie mit hochrotem Kopf zur Bühne spurtete. Die fürchterliche Ellie verglich mit strengem Blick die angekreuzten Zahlen auf Mamas Bingokärtchen mit den Zahlen, die sie selber aus der Trommel gezogen hatte. Dann lächelte sie dünn.
    Wie so oft, wie eigentlich fast immer, war Mamas Gewinn eine billige Plastikhandtasche. Wie so oft, wie eigentlich immer, hätte auch ich für Mama gejohlt und applaudiert und gepfiffen. Nur war ab dem Moment, in dem sie ihren Preis entgegennahm, mein Blick auf Oskar gerichtet. Ich sah genau in sein Gesicht.
    Und aus irgendeinem Grund lief mir ein kalter Schauer über den Rücken.

    Auf dem Nachhauseweg drückte Mama jedem von uns zwei Euro in die Hand. »Holt euch noch ein Eis bei Isabel, okay? Ich geh schon mal vor«, sagte sie und zischte ab, die neue hässliche Plastikhandtasche unterm Arm.
    Wir holten uns das Eis, aber es schmeckte mir nicht so gut wie das auf dem Vicky. Ständig musste ich an den bestürzten Ausdruck auf Oskars Gesicht denken, vorhin beim Bingospielen, aber ich wagte nicht, ihn darauf anzusprechen. Er tapste schweigend neben mir her, ganz auf sein Eis konzentriert. Wenigstens schien es so.
    Als wir zu Hause ankamen, hatte Mama sich im Badezimmer eingeschlossen. Ich wusste, dass sie da eine Weile drinbleiben würde, also holte ich entschlossen Luft und folgte Oskar in mein Zimmer. Er stand über seinen Rucksack gebeugt.
    Â»Zahnbürste, Zahnpasta, Zahnseide«, murmelte er, alle drei Dinge in einer Hand. »Wo ist der Zahnputzbecher?«
    Â»Kannst meinen mitbenutzen«, sagte ich. Das Herz schlug mir bis zum Hals. »Oskar?«
    Â»Hm?«
    Â»Hör mal, vorhin beim Bingo, da –«
    Er schimpfte leise vor sich hin, hob mit der freien Hand den Rucksack hoch, kippte ihn um und schüttelte ihn.
    Â»Oskar!«
    Jetzt schaute er mich endlich an.
    Â»Vorhin beim Bingo, als Mama gewonnen hat … Du hast auf einmal ganz merkwürdig geguckt. Und als Mama mit derPlastiktasche von der Bühne wiederkam, hast du noch merkwürdiger geguckt. Als ob was nicht stimmte oder etwas ganz Schlimmes passiert wäre. Als ob du Angst vor was gekriegt hättest.«
    Er schniefte nur kurz und schob sich an mir vorbei in den Flur. Ich folgte ihm. Am liebsten hätte ich ihn angebrüllt, aber dann hätte Mama uns gehört. »Und zuletzt«, flüsterte ich, »hast du mich angeguckt, als würdest du am liebsten anfangen zu heulen! Was war denn los? Sag’s mir doch. Bitte!«
    Fast hätte ich selber losgeheult. Ich konnte nicht fassen, dass Oskar mir nicht vertrauen wollte. Seine Lippen waren so fest aufeinandergepresst, als planten die Riesenzähne einen Ausbruchversuch, von dem sie unbedingt abgehalten werden mussten, und er starrte mich mit einem Blick an, bei dem ich mir wünschte, er hätte seine Sonnenbrille wieder auf. Es war kein böser Blick, er war nur irgendwie anders, als ob –
    Wir zuckten beide zusammen, als mit lautem Klacken ein Schlüssel umgedreht wurde. Mama kam aus dem Badezimmer in den Flur und sie sah absolut erste Sahne aus, todschick, wie immer, wenn sie in den Club ging. Sie musterte sich rasch in unserem schönen Spiegel mit den goldenen Dickebackenengeln. Ihr Kleid war aus feinem rotem Stoff und sah auf den ersten Blick ganz harmlos aus. War es aber nicht. Wir hatten es zusammen in einer Boutique eingekauft, natürlich mit Irina im Schlepptau. Wenn Mama sich in diesem Kleid vor ein Licht stellte, konnte jeder erkennen, was für eineklasse Figur sie hat, denn der Stoff wurde dabei fast unsichtbar. Oskar fielen beinahe die Augen aus dem Kopf.
    Â»So, ich muss los, Männer.« Mama schnappte sich eilig ihre echte Handtasche. Von dem Plastikding, das sie vorhin gewonnen hatte, keine Spur. Wahrscheinlich hatte sie es beim Nachhausekommen sofort in ihrem Kleiderschrank verstaut, wo es rumgammelte, bis sie es bei eBay verkaufte. »Passt

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