Rico, Oskar und das Herzgebreche
endlich mal selber Detektivin spielen. Vielleicht kriegen wir sie rum, wenn wir ihr die ganze Geschichte so schonend wie möglich beibringen.
Genau.
Wir müssen einfach nur behutsam genug vorgehen.
Sensibel.
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»Erpressung war das!« Frau Dahling suchte an ihrem Regenschirm Halt, weil sie schon ein bisschen intus hatte und das Schimpfen sie aus dem Gleichgewicht brachte. »Es ist halb zwei Uhr morgens und ich stehe im Regen in Neukölln! Mich auf so einen Irrsinn einzulassen. Beschleid⦠Begleitschutz!«
»Möchten Sie was von meiner Falafel?«, bot Oskar ihr mit vollem Mund an. »Die ist sehr lecker.«
Sie musterte ihr doppeltes Spiegelbild in seiner schwarzen Sonnenbrille, als überlegte sie, ob sie die Frau kannte, die ihr da entgegenblickte: orangebraunes Blümchenkleid mit Speckröllchen, Scheidungsfrisur, frisch gezupfte Augenbrauen, leicht eingetrübter Blick. Dann schüttelte sie den Kopf und beobachtete, wie sie es seit fast einer Stunde tat, über die regennasse StraÃe hinweg weiter den Nachtclub. Ãberall standen geparkte Autos. Den silbernen Mercedes hatten wir weiter oben in der StraÃe entdeckt, schon kurz nach unserer Ankunft. Der alte Golf von Herrn van Scherten stand im Eingang zu einer der engen SeitenstraÃen.
»Willst du, Rico?«, sagte Oskar. Er hielt mir das letzte Gemüsebällchen unter die Nase, aber ich schüttelte ebenfalls den Kopf. Ich war zu aufgeregt, um Hunger zu haben. Trotzdem wurde ich neidisch, als Frau Dahling plötzlich doch zuschnappte und sich das appetitliche Klöpschen am Stück in den Mund schob. Okay, sie hatte die Falafel bezahlt, aber sie hätte wenigstens mal fragen können, ob ich es mir inzwischen nicht anders überlegt hatte.
Echt, so was von verfressen!
Womöglich war das ihre Rache, dabei hatten Oskar und ichsie gar nicht wirklich erpresst. Wir hatten ihr bloà behutsam erklärt, dass wir zur Not auch ohne erwachsene Begleitung mitten in der Nacht zu Fuà nach Neukölln aufbrechen würden. In ihrem Wohnzimmer war das gewesen, auf dem Plüschsofa, aber ohne Film und ohne Müffelchen. Frau Dahling, die Alkohol nur trinkt, wenn sie sich sehr aufregt oder sehr freut, kippte vor lauter Fassungslosigkeit mehrere Gläschen Gutes, während ich erzählte und erzählte und dabei bloà hoffen konnte, dass sie mir glaubte. Denn so viel war klar: Oskar und ich hatten sie natürlich angeflunkert. Ohne Begleitung würde unser Plan ins Wasser fallen. Zwei kleine Jungs, nach Mitternacht mutterseelenallein unterwegs in Neukölln â ernsthaft hätte das niemals funktioniert. Jeder weiÃ, dass um diese Uhrzeit dort Mafiagangster unterwegs sind und auf mutterseelenalleine Kinder spezialisierte Serienmörder, ganz zu schweigen von den Millionen Ratten, die im Dunkeln aus den Gullys kommen und die StraÃen überschwemmen.
»Aber warum wollt ihr dort unbedingt hin?«, fragte Frau Dahling. »Dieser Herr van Scherten kommt doch sicher auch ohne euch zurecht. Nein?«
Weil es um meine Mama ging, erklärte ich ihr. Bei der ich so nah wie möglich sein wollte, um eingreifen zu können, falls etwas schiefging. Oder besser gesagt, sobald es schiefging, denn ich hatte ein ganz mieses Gefühl in der Magengegend, oder in der Nähe davon, jedenfalls irgendwo im Bauch. Ein mieses Gefühl, das sich nicht vertreiben lieÃ.
Frau Dahling nickte heftig. »So ein Gefühl hatte ich bei meinem Mann auch, monatelang! Und nachher gestand er mir, dass er zu der Zeit schon ständig mit der anderen Frau zugange gewesen war. Dieser Drecksack â¦Â« Sie verstummte und schaute abwesend zu ihrem dunklen Fernseher, als liefe darin ein Spielfilm über eine erfolgreiche Scheidung, der eigentlich heiter sein sollte, sie aber abgrundtief traurig machte, weil es eben einfach schwierig ist, bis ans Ende seines Lebens allein statt zu zweit auf einem Plüschsofa zu sitzen.
»Und was machen wir nun?«, sagte ich ängstlich. So benahm Frau Dahling sich immer, bevor das graue Gefühl über sie kam, und wenn das geschah, war sie nicht mehr ansprechbar. Einen bangen Moment lang hielten Oskar und ich die Luft an, aber schlieÃlich blickte Frau Dahling wieder auf.
»Was wir machen? Wir nehmen natürlich ein Taxi!«
Und jetzt standen wir unter dem schmalen Vordach eines Dönerstands, auf das unablässig der Regen trommelte. An der
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