Rico, Oskar und das Herzgebreche
Stimme überschlug sich fast. »Und lass dich hier nie wieder blicken! Da muss ich schon mit den FüÃen zuvorderst zur Wohnung raus, bevor du kriegst, was du willst â und selbst für den Fall hab ich vorgesorgt!«
KNALL!
Absätze klackerten auf der Treppe, einmal, zweimal, dreimal im Kreis. Oskar und ich lauschten gebannt, die Köpfe im Nacken. SchlieÃlich kam uns eine junge Frau entgegen, etwa so alt wie Jule. Sie trug zerfranste Jeans, eine dünne blassgelbe Sommerjacke und ein Band von derselben Farbe um ihre schwarzen Haare. Ihr Gesicht war unter anderen Umständen bestimmt ganz hübsch, jedenfalls gefielen mir die Stupsnase und die braunen Mandelaugen. Aber jetzt war es wutverzerrt. Fast hätte sie Oskar über den Haufen gerannt, als sie, achtlos und ohne zu grüÃen, an uns vorbeistürmte. So was von unhöflich!
»Wir sollten bei Fitzke klingeln«, sagte Oskar besorgt, als das Klackern der Absätze endgültig verklungen war und unten einmal mehr die Haustür ins Schloss fiel.
»Warum?«
»Weil er sich gerade furchtbar aufgeregt hat, das war ja wohl nicht zu überhören. Womöglich braucht er wieder einen Betablocker â«
»â und schafft es nicht rechtzeitig zur Toilette!«
»Genau wie ich«, jammerte Oskar, aber da flogen wir schon förmlich rauf in den Vierten, wo wir mit den Fäusten anFitzkes Tür hämmerten. Sie wurde fast sofort nach innen aufgerissen. Da war kein Anzug mehr und keine Gepflegtheit. Fitzke trug seinen schmuddeligen gestreiften Pyjama und die braunen Pantoffeln, aus denen milchweiÃe FuÃgelenke rausguckten. Er rollte die Augen und sah völlig wahnsinnig aus. Kurze Bartstoppeln prangten in seinem Gesicht und die Haare standen ihm vom Kopf ab. Hinter ihm, im düsteren Flur, konnte ich die Umrisse von ein paar Steinen ausmachen.
»Ah, Doretti!«
»Ist ⦠ist alles in Ordnung bei Ihnen, Herr Fitzke?«, japste ich. »Brauchen Sie eine Toilette?«
»Was?«
»Tablette, meine ich. Eine Tablette von Ihrer Toilette.«
»Seh ich so aus?«, knurrte er.
»Auf jeden Fall«, keuchte Oskar.
»Das liegt an der Bonhöfer, dem Gewitteraas!«
Jetzt wusste ich, dass er tatsächlich den Verstand verloren hatte. Man muss aufpassen mit Wahnsinnigen, sie sind unberechenbar. Fitzke hatte schon mal angedroht, Oskar und mir die Köpfe abzureiÃen, um damit FuÃball zu spielen. Bei unserem Besuch hatte ich keine Köpfe gesehen, aber vielleicht versteckte er sie im Keller.
»Fräulein Bonhöfer ist schon lange tot, Herr Fitzke«, erinnerte ich ihn vorsichtig. »Sie hat sich â«
»â in die Luft gejagt, und die ganze Bude gleich dazu, ja, ja. Hab ich mitgekriegt, mir hatâs fast die Fenster zerblasen andem Tag. Ich rede auch nicht von Klara. Ich rede von ihrer verdammten Enkelin.«
»Wer ist Klara?«
Neben mir hörte ich Oskar resigniert ausatmen.
RESIGNATION : Wenn man etwas enttäuscht aufgibt, das man ohne Erfolg probiert hat. Zum Beispiel, wenn man auf den Mount Everest klettert und auf dem Gipfel reiÃen einem die Schnürsenkel und man hat keinen Ersatz dabei und kommt deshalb nicht wieder runter. Es sind also oft die kleinen Dinge, die einen resignieren lassen.
Jetzt bekam Fitzke doch etwas Farbe ins blasse Gesicht. »Fräulein Klara Bonhöfer, Doretti! Hast du beim Aufstehen das Gehirn im Bett liegenlassen, oder was?«
Also echt! Ich hatte mir ja vorgenommen, etwas netter zu ihm zu sein, aber er machte es einem wirklich schwer. Ich holte tief Luft, damit mir nicht sofort die Geduld ausging. »Dann hatte ⦠Fräulein Klara Bonhöfer eine Enkelin?«
»Hat sie immer noch. Und einen Sohn, dem ich diese Rotzgöre zu verdanken habe«, knurrte Fitzke.
»Aber ⦠sie war doch ein Fräulein!«
Irgendwie klingt Fräulein dermaÃen unverheiratet, dassman dabei nicht sofort an Kinder denkt, obwohl Fräuleins natürlich jederzeit welche kriegen können, so wie die fürchterliche Ellie ihren Boris. Aber der Gedanke kam mir zu spät, Fitzke schimpfte bereits wieder los.
»Wenn Blödheit wehtun würde, müsstest du den ganzen Tag brüllen, Doretti! Ich hätte besser â« Er unterbrach sich und verzog das Gesicht. »Ach, egal, wird schon passen. Und jetzt verzieht euch!«
Ich starrte ihn an. Was würde passen?
Fragen
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