Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rico, Oskar und das Herzgebreche

Rico, Oskar und das Herzgebreche

Titel: Rico, Oskar und das Herzgebreche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Steinhöfel
Vom Netzwerk:
aber wahrscheinlich trägt er ein Hemd, aus dem viele Brusthaare rausgucken. Silbergrau, aber es sind auch noch ein paar schwarze dabei.«
    Â»Wer soll das sein? Euer Großvater?«
    Wir schüttelten die Köpfe.
    Â»Vater?«
    Hatte der sie noch alle? »Mein Vater ist bei einem tragischen Angelunfall ums Leben gekommen, vor der Küste von Neapel.« Ich deutete auf Oskar. »Und seiner braucht Abstand, obwohl er gerade erst bei den Wikingern war.«
    Der Türsteher schaute über mich hinweg. »Ihr Mann? Großvater? Bruder, Neffe, Cousin, Schwager?«
    Ich wandte mich um. Frau Dahling schüttelte den Kopf. Tröpfchen flogen durch die Luft. Sie stand nicht nur im Regen, sondern auch unter Schock, das sah man ganz deutlich. Ihr Gesicht war fast so rot wie die Tür, die Augen darin waren weit aufgerissen.
    Â»Okay«, sagte der Rausschmeißer. »Verzieht euch.«
    Â»Der gesuchte Herr ist ein guter Freund der Familie«, schaltete Oskar sich erneut ein.
    Â»So. Und was für ’ne Familie wollt ihr sein? Seid ihr alle zusammen aus der Klapse abgehauen, oder was? Das hier ist ein Nachtclub, kein Kinderspielplatz.«
    Ich muss wohl kaum erwähnen, dass meine Bingotrommel längst auf Hochtouren lief. Überall fielen Kugeln raus. Ich wollte mich an dem Kerl vorbeidrängen, aber er drückte mir eine grobe Hand gegen die Brust und hielt mich zurück. »Ich meine es ernst, Kleiner«, stieß er gefährlich leise aus. »Verzischt euch, oder ich rufe die Bullen! Die stecken eure Oma in ’ne Ausnüchterungszelle und euch in irgendein Kinderheim an der polnischen Grenze.«
    Â»Wir nehmen das, aus dem Sie abgehauen sind«, sagte Oskar.
    Â»Ja, das nehmen wir«, nuschelte Frau Dahling, und plötzlich begann sie leise zu schluchzen. »Haben Sie denn kein Mitleid mit einem kleinen Jungen, der bald sein Augenlicht verliert? Was sind Sie bloß für ein Mönch!«
    Der Rausschmeißer versetzte mir einen Schubs.
    Die Tür knallte zu.
    Ich trat dagegen, so fest ich konnte.
    Keine Reaktion.
    Verdammte Pleite!
    Eine Minute später standen wir wieder vor Akgüners Dönerladen, wo ich versuchte, die Bingokugeln in meinem Kopf zurück in die Trommel zu sortieren, während Oskar auf Frau Dahling einredete. »Wenn Sie noch mehr Alkohol trinken«, sagte er, »müssen wir wieder nach Hause fahren. Unverrichteter Dinge. Sie sollten jetzt unbedingt auf Mineralwasser umsteigen und etwas Salziges essen.«
    Â»Wir führen leider nur Fleischwaren, junger Mann«, sagte Frau Dahling. »Sonst würde ich ja Rollmöpse oder … salzig?« Sie sah Oskar hilflos an.
    Â»Alkohol«, erklärte er geduldig, »hemmt ein Hormon, das aus Ihren Nieren Wasser zurückgewinnt, verstehen Sie, und dieses Wasser schwemmt lebenswichtige Salze aus Ihrem Körper.«
    Â»Ãœber meine Nierchen hat sich noch keiner beschwert«, sagte Frau Dahling kichernd. Sie kicherte immer noch, alsAkgüner einen Becher über die Theke reichte, den Oskar entgegennahm.
    Â»Eure Mutter oder Oma oder was?«, sagte Akgüner.
    Â»Oder was«, gab Oskar zurück, hielt Frau Dahling den Becher an die Lippen und knabberte wieder an seiner Karotte.
    Ich drehte mich um und beobachtete hasserfüllt den hinter immer dichter werdenden Regenschleiern verschwimmenden Club. Plötzlich wollte ich nicht mehr, dass Mama dort arbeitet. Ich wollte nicht mehr, dass sie traurig war, egal warum. Ich wollte es einfach wieder so schön mit ihr haben wie früher, mit ihr zum Bingospielen gehen, ohne dass sie Handtaschen gewinnen musste, ins Förderzentrum gehen, ohne dass irgendwelche Lawottnys behaupteten, sie wäre so eine.
    Â»Mama«, flüsterte ich.
    Sekunden kamen und gingen. Weit entfernt ertönte eine Sirene von einem Krankenwagen oder der Feuerwehr oder einem Polizeiauto. Gegenüber ging die knallrote Clubtür auf. Niemand hatte geklingelt, draußen war kein neuer Gast angekommen, da war überhaupt keiner. Da war nur Mama, die raus ins Regenlicht trat, als hätte sie mich flüstern hören, meine Mama in einem hellen Kleid mit dünnen Trägern, die sich suchend umblickte.
    Â»Seht mal, da ist ja die Frau Doretti!«, rief hinter mir Frau Dahling. Sie schob sich neben mich, winkte wie verrückt mit ihrem Schirm und schwankte dabei, als stände sie auf dem Ausflugsdampfer, von dem damals ihre Puppe runter in den

Weitere Kostenlose Bücher