Rico, Oskar und das Herzgebreche
bloà rumzustehen und dem Regen beim Runterfallen zuzugucken. Neukölln bei Nacht hatte ich mir echt spannender vorgestellt. Von der nahen Karl-Marx-StraÃe, aus der wir mit dem Taxi hierher abgebogen waren, brandete Verkehrslärm heran, und Licht stieg aus tausend Quellen auf in den Regenhimmel. Da war ordentlich was los. Aber hier passierte gar nichts, auÃer ein bisschen Nachtclub mit freundlicher Atmosphäre.
Das Regengetröpfel über mir und rund um mich herum machte mich ganz unkonzentriert. Trotzdem versuchte ich zu überlegen, was wir tun sollten, falls mein mieses Gefühl im Bauch Recht behielt, falls Herr van Scherten beim Schnüffeln erwischt wurde oder sonst was Unangenehmesgeschah. Die Polizei anrufen, klar. Oskar hatte vorsorglich unsere Liste mit der heiÃen Ware eingesteckt. Aber war die Liste ohne zusätzliche Beweise ausreichend? Hatte Herr van Scherten wirklich eine Chance, unbemerkt an irgendwelche Unterlagen im Club ranzukommen? Mama kannte ihn schlieÃlich und war sicher überrascht, ihn dort zu sehen.
Je länger ich darüber nachdachte, umso unruhiger wurde ich. Ich drehte mich zu Oskar und Frau Dahling um. Frau Dahling lieà sich gerade noch ein zusätzliches Whiskyschlückchen in ihre Cola nachschütten. Oskar hatte Akgüner eine dicke Karotte abgeschwatzt, an der er mit seinen Riesenzähnen herumschabte.
»Das dauert alles zu lange«, teilte ich ihnen mit. »Vielleicht ist der van Scherten erwischt worden und liegt schon längst geknebelt und gefesselt in irgendeinem Hinterzimmer.«
Oskar verzog mitfühlend das Gesicht. Wahrscheinlich malte er sich aus, wie Herr van Scherten ab jetzt tagelang mit Fritten und Hamburgern gefüttert wurde. Er zeigte mit der Karotte über die StraÃe. »Es stimmt schon, er lässt sich sehr viel Zeit. Aber wir können ja schlecht da drüben klingeln und nachfragen, wie es ihm geht.«
Ich fand, man konnte das schon.
Hinter mir stieà Frau Dahling ein erschrecktes Quieken aus, als ich über den nassen Asphalt rannte. In null Komma nix hatte ich mich zwischen zwei geparkten Autos durchgequetscht und stand vor der knallroten Tür. Ich winkte freundlich lächelnd nach oben in die kleine Kamera und drückte gleichzeitig auf den Klingelknopf.
Nichts passierte.
»Du glaubst ja wohl nicht«, sagte Oskar, der wie ein Geist neben mir auftauchte, »dass die einem kleinen Jungen aufmachen.«
»Wir sind aber jetzt schon zwei kleine Jungs«, sagte ich. Eigentlich nur ein kleiner und ein mittelkleiner, aber jetzt war kein passender Zeitpunkt, das zu diskutieren. Zusammen ergaben wir jedenfalls mindestens einen groÃen, und volljährig genug waren wir zusammen auch fast, schätzte ich.
VOLLJÃHRIG : Wenn man ab 18 Jahren wählen darf. Zum Beispiel, dass man mit dem Auto zu einer Bank fährt, wo man sich Geld leiht, mit dem man eine Hundeschule eröffnet, die neben einer Videothek steht, in der man sich einen coolen Film ausleiht, von dem man seinen Kumpels bei der Abschiedsfeier im Nachtclub erzählt, bevor man am nächsten Tag heiratet.
Ich drückte erneut die Klingel und lieà den Finger auf dem Knopf.
»Frederico!«, zischte Frau Dahling, die jetzt ebenfalls auftauchte. »Lass das bleiben. Das hilft deiner Mutter gewiss nicht!«
»Und Herrn van Scherten auch nicht, wenn er vielleicht gerade in diesem Moment in den Büros rumspioniert«, fügte Oskar hinzu.
Daran hatte ich nicht gedacht, aber jetzt war es zu spät. Die Tür schwang auf, und der glatzköpfige RausschmeiÃer starrte uns an. Er trug einen schicken schwarzen Anzug und stand in einem schummerig beleuchteten Vorraum, wo sein Kopf fast an die Decke stieÃ. Hinter ihm befand sich eine weitere Tür, die direkt in den Club führen musste. Er betrachtete uns alle drei aus unbewegtem Gesicht, starrte kurz in Oskars Sonnenbrille und auf die angeschabte Karotte, auf Frau Dahlings Pappbecher mit Cola und Whisky drin in der einen Hand und den zugeklappten Regenschirm in ihrer anderen, und dann runter auf mich.
»Aber sonst gehtâs gut, ja?«
Seine Stimme klang wie ein ganz fernes Donnergrollen. Oder wie das ganz nahe Knurren von einem groÃen Hund. Ich schluckte.
»Wir suchen einen älteren Herrn«, kam Oskar mir zu Hilfe.
»Genau«, sagte ich und nickte, froh, dass meine Stimme noch funktionierte. »Auf dem Kopf sieht er so aus wie Sie,
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