Riemenschneider
dir doch gefallen. Rette mich, und du bekommst meine Hausfrau. Glaub mir, sie macht’s dir besser als jede Hure. Was sagst du?«
Als Antwort trat ihm der Lochwirt in den Bauch. Sofort übergab sich Bermeter, würgte Hasenklein und Schnaps auf den Boden.
»Kotz mir nicht die Stube voll.« Wieder ein Tritt, dann packte ihn der Lochwirt am Kragen, schleifte den Gefangenen zur Treppe. Nach einem scharfen Pfiff erschienen zwei seiner Leute. »Wieder einer, der brüllt und um sich schlägt. Schafft ihn runter! Besser, ihr kettet ihn an und gebt gut auf ihn acht. Unser Scharfrichter hat’s nicht gern, wenn seine Kundschaft schon halb tot bei ihm abgeliefert wird.«
Der Lochwirt kehrte zum Tisch zurück, goss sich den Becher randvoll mit Branntwein und nahm genüsslich einen tiefen Schluck. Lange schob er die Münzen hin und her, türmte sie auf und steckte den Reichtum schließlich in die Tasche. »Was ich immer sage: In meinem Gefängnis lacht nur einer. Und das bin ich.«
35
D ie äußeren Wunden waren vernarbt, das Gehen bereitete kaum noch Schwierigkeiten, auch ließen sich die Arme wieder ohne Schmerzen bewegen. Kraft und Sicherheit aber, um ein Kunstwerk zu schaffen, hatte der Meister nicht zurückerlangen können, trotz verzweifelter Anstrengung, immer neuen Versuchen. Kammeisen oder Stechbeitel verschmolzen nicht mehr mit seiner Hand, sie blieben schlichte Werkzeuge, mit denen er, so gut es ging, Stein und Holz bearbeitete. In den ersten beiden Jahren nach dem Kerker hatte er nur mit Bitterkeit darüber sprechen können, noch im letzten Herbst färbte sie den Ton, wenn er sich selbst verspottete. »Da habe ich lange an Altären und Heiligen üben müssen, bis ich endlich Grabsteine hauen kann und Kreuze in Sargdeckel schneiden darf.«
Jetzt, nach fünf Jahren aber, hatte er mit sich Frieden geschlossen. War es die ruhige Innigkeit, das Vertrautsein mit Magdalena allein, oder hatte auch dieser kleine, aufgeweckte Rotschopf seinen Anteil daran, der Enkel, der den Großvater mehr und mehr in Beschlag nahm?
»Wo reiten wir jetzt hin?«, fragte der kleine Til, zügelte vor dem Dom sein Steckenpferd mit gewaltigem Brrrr, die Spucke sprühte nur so von den Lippen, und sah zu dem großen Til auf.
»Großmutter hat uns gebeten …«
»Nein, sei doch nicht so dumm!« Mit großer Nachsicht berichtigte ihn der Junge. »Sie ist unsre Königin. Und ich bin der Ritter, und du bist mein Knappe.« Zum Beweis ließ er das Ross tänzeln und zog das Holzschwert aus dem Gürtel. »Wo wartet der Feind?«
Ehe sie loszogen, hatte Til nur mit viel Überredungskunst verhindern können, nicht selbst ein Schwert umgürten zu müssen. »Auf Befehl unserer weisen Königin sollen wir den gefährlichen Weibern auf dem Gemüsemarkt einen Korb voll ihrer süßen Kirschen abjagen. Und deshalb nehmen wir besser den Weg durch die Schustergasse.«
»Gut. Dann folge mir mit dem Packpferd!« Der Kleine Til rollte die großen Augen. »Aber sei vorsichtig.« Er ritt die Domstraße hinunter, hüpfte, und der Stecken zwischen seinen Beinen schlug hinter ihm den Takt.
Dieses Kerlchen, schmunzelte Til, jeden Tag erfindet er ein neues Spiel, und stets bin ich es, der herhalten muss. Warum, weiß ich nicht, aber er kommt nun mal lieber zu mir, wenn ihn etwas bedrückt oder wenn er etwas haben möchte.
Auf dem Judenplatz führte der Ritter seinen Knappen zielsicher an den Obststand. Die Bäuerin sah den Jungen und ein Strahlen erhellte ihr verknittertes Gesicht. »Goldlocken. Nein, was für ein feines Lämmchen.« Sie klatschte dem Meister zu. »Meine Anerkennung, Herr, Euer Nachwuchs ist wirklich gelungen.«
»Um ehrlich zu sein, ich habe recht wenig dazu beigetragen. Dies ist mein Enkel.«
Die Bäuerin überging die Einschränkung, sie wuschelte dem Jungen durchs Haar. »So ein Lämmchen hätte ich auch gern gehabt. Aber bei meinem Alten? Ich sage nur eins, Herr, wie der Hammel, so das Lamm.«
Der kleine Til befreite sich und zückte sein Schwert. »Ich bin ein Ritter. Merk dir das, und du bist eine …«
»Nicht weiter«, warnend hob der Großvater den Finger. »Verrate uns nicht.« Er reichte der Bäuerin den Korb. »Drei Pfund von den Kirschen.«
Als sie dem Ritter zwei Zwillinge anbot, willigte er gnädig ein und ließ sich von ihr die zusammengewachsenen Stiele mit den dunkelroten Edelsteinen über die Ohren hängen.
»Wohin jetzt?«
Til wies zur Marienkapelle hinüber. »Ich will noch rasch einer Dame guten Tag sagen.« Vor dem Südportal hob er den
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