Riesling zum Abschied
eine Veranstaltung.«
»Mein Vater ist auch noch hier«, warf Thomas ein, »aber er fährt nachher wieder rauf, die Betriebsleitertagung endet gegen sechzehn Uhr. Dann sind wir zurück. Jetzt müssen sie Manuel entlassen!«
Erleichtert, ja geradezu euphorisch ging Johanna in ihre Vorlesung. Sie bestritt das Thema heute mit einer Bravour, die ihr selbst und den Studenten unheimlich war. Die anderthalb Stunden gingen rasend schnell vorbei. Sie beantwortete danach noch einige Fragen der Studenten bezüglich der anstehenden Klausuren zum Semesterende und ging, als hätte sie eine riesige Aufgabe bewältigt, zum Kaffeeautoma ten und wollte dann hinüber zum Laborgebäude. Sie schlenderte mit dem Pappbecher am Parkplatz vorbei und auf die Brücke zu, als ihr Marquardt hechelnd entgegenkam. Er trug einen anscheinend sehr schweren Karton, der ihm jeden Moment unter dem rechten Arm herauszurutschen drohte, mit der linken Hand presste er ein Mobiltelefon ans Ohr. Johanna trat hinter das Gebüsch, das Brückenauffahrt und Parkplatz trennte, und beobachtete ihn. Er lief in ihre Richtung, ging dann keuchend an ihr vorbei und nahm die Abkürzung durch die Rabatten zum Parkplatz.
»... habe ich alles bei mir, ja, alles aufgeräumt ...«, hörte sie ihn sagen, dann setzte er umständlich den Karton ab und drehte sich weg, sodass sie nichts mehr verstehen konnte.
Es war für Johanna klar, dass sie ihn im Auge behielt, etwas anderes kam für sie gar nicht infrage. Wollte der Professor sich absetzen und Beweise verschwinden lassen? Auf seinem Rechner würde man nichts finden, niemand speicherte dort noch kompromittierende Informationen, heute lag alles auf der externen Festplatte oder dem Datenstick, und da genügte ein rascher Wurf vom Rheinufer aus, und man war die Dateien los. Johannas Gedanken rasten. Wenn |373| Marquardt abtauchte, stand Manuels Freilassung wieder auf dem Spiel. Die Beweislage war dürftig, ein Geständnis war nötig. Sie suchte nach ihrem Wagen, aber sie fand ihn nicht, da fiel ihr ein, dass er gar nicht da sein konnte. Sie war mit Carl gekommen, also musste sie auf ihn warten und den Professor aufhalten. Sie rief mit Carls Handy in ihrem Büro an, wo Carl noch immer dabei war aufzuräumen. Er rannte sofort los. Johanna ging zu Marquardt, der seinen Karton mit nur einem Arm aufheben wollte, was ihm nicht gelang.
»Kann ich helfen, Herr Professor?«, fragte sie scheinheilig.
»Nein, lassen Sie, ich war nur ungeschickt ... was?« Er telefonierte noch immer und winkte ab. »Nein, ich kann jetzt nicht, Frau Breitenbach steht neben mir.«
Johanna bemühte sich, den Karton für ihn aufzuheben, Marquardt bückte sich, noch immer das Mobiltelefon am Ohr. »Nun lassen Sie doch«, sagte er ärgerlich. Endlich steckte er das Telefon weg und packte den Karton mit beiden Händen, Johanna wollte mit anpacken.
»Wieso lassen Sie sich nicht helfen und telefonieren in Ruhe weiter? Ich wollte Sie sowieso sprechen. Sie haben sicher fünf Minuten Zeit?« Die würden reichen, bis Carl hier wäre.
Aber Marquardt wehrte die Hilfe ab. Er ging zum Wagen, blieb unschlüssig vor dem Kofferraum seines blauen Lexus stehen – und stand wieder vor dem Dilemma, den Autoschlüssel aus der Tasche ziehen zu müssen und nicht zu wissen, wohin derweil mit dem Karton, den er Johanna auf keinen Fall überlassen wollte. Er sah sie an, sie erwiderte kopfschüttelnd seinen Blick, dann schaffte er es, den Karton mit seinem Körper gegen die Karosserie zu drücken und den Schlüssel in den Jackentaschen zu suchen. Er fand ihn nicht, suchte in den Hosentaschen, Geld und Schlüssel klimperten, der Karton rutschte. Als die Blinklichter aufleuchte ten , rutschte ihm der Karton endgültig aus den Händen, der Deckel klappte auf, und Hunderte von beschriebenen Seiten, Aktendeckel und Ordner rutschten über den Asphalt.
|374| »Verfluchte Scheiße ...« Wutschnaubend, als würde er im nächsten Moment über sie herfallen wollen, sah Marquardt Johanna an und richtete sich auf.
»Was ist denn mit Ihnen los, Herr Professor? Wieso lassen Sie sich nicht helfen?« Sie kniete sich neben ihn und reichte ihm Papiere an, ohne darauf zu blicken. »Sie hatten mich vor einiger Zeit gefragt, ob ich nicht mit Ihnen zusammenarbeiten wollte, und jetzt möchte ich natürlich wissen, wie Sie sich das vorstellen.«
»Das hat sich zerschlagen«, erwiderte Marquardt barsch und machte keinen Hehl daraus, dass ihm Johannas Gegenwart mehr als lästig
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