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Riesling zum Abschied

Riesling zum Abschied

Titel: Riesling zum Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Grote
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ein schwieriger junger Mann. Ich glaube, genau weiß ich das natürlich nicht, dass er persönliche Probleme hatte. Er war still, er lebte zurückgezogen, er hat einem Kommilitonen in einem Weingut geholfen, ich glaube, weil er Familienanschluss und Geborgenheit suchte. Problematisches Elternhaus, sehr wohlhabend, er fuhr einen großen Wagen, zu groß für sein Alter, unpassend für Geisenheim und wohl auch für seinen Status im zweiten Studienjahr. Solche Menschen haben es schwer, ihren Standort im Leben zu finden.«
    »Hier, schauen Sie, das war das Mordopfer.« Der Chemiker griff zum leeren Stuhl neben sich, wo eine Bild-Zeitung lag. Das Blatt war zerlesen, die entsprechende Seite aufgeschlagen. Darunter lag eine Zeitschrift der sogenannten »Liberalen«.
    Johanna erinnerte sich an die Tote, aber nicht mehr daran, wo sie ihr zuerst begegnet war – es war nicht auf dem Campus gewesen. Auf dem Foto saß Alexandra auf dem Beifahrersitz von Manuels Cabrio und lachte in die Kamera. Er hingegen starrte geradeaus, als würde er sich auf die Strecke konzentrieren. Alexandras Haar hing gelockt herunter, demnach war es kein Schnappschuss im Vorbeifahren. Im Hintergrund waren fast entlaubte Rebstöcke zu sehen, also war das Bild im letzten Herbst entstanden, kurz nachdem die beiden zusammengekommen waren. Wo hatte die Zeitung das Foto her? Die Überschrift lautete: Auf der Fahrt ins Blaue – mit dem Mörder?
    »So macht man Politik«, meinte Marquardt. »Manuel |113| Stern ist nicht einmal verurteilt, und schon erklärt ihn die Presse zum Mörder. Wie soll es ein faires Verfahren geben?«
    Der Chemiker verbat sich jeden Zweifel am deutschen Rechtssystem. »Wenn Zeitungsberichte die Gerichte beeinflussen würden, könnte kein Prozess mehr durchgeführt oder die Presse müsste zensiert werden. Unsere Richter können damit umgehen.«
    Diese Meinung empörte Johanna, sie hatte nach vielen Prozessen über Genehmigungsverfahren und auch bei Strafverfahren gegen Umweltaktivisten eine gänzlich andere Sicht. »Sie glauben, dass die Richter unabhängig sind? Das einzige Gericht, auf das ich noch hoffe, ist der Bundesgerichtshof. Aber was er sich mit dem Urteil zum Ankauf der Steuersünderdateien geleistet hat, ist eindeutig Rechtsbruch zugunsten des Staates. Und wenn die Polizei eine Weisung aus der Politik bekommt, hält sie still.«
    »Aber doch nicht in so einem Fall«, sagte Marquardt mit einer beschwichtigenden Geste. Für ihn war damit das Thema beendet.
    Stattdessen kam der Chemiker richtig in Fahrt: »Ein Junge, ein junger Mann, lernt ein Mädchen, eine junge Frau, kennen. Er, das wissen wir nun«, ein kurzer Seitenblick auf die Zeitung machte die Quelle seiner Informationen deutlich, »kommt aus einem zerrütteten Elternhaus. Er kennt keine Liebe, kennt keine Zuneigung, wird herumgestoßen, verliebt sich in diese wunderschöne, intelligente junge Frau, seine erste Liebe, wie es heißt.« Wieder half ihm ein Blick in die Zeitung. »Sie verdreht ihm den Kopf, und sie sieht das Geld. Er hält es für Liebe, auch andere bewundern sie, er kann sie nicht an sich binden, die Eifersucht überkommt ihn – und die Katastrophe ist da.«
    »Jemand mit so einem psychologischen Profil kommt da natürlich nicht mit«, ergänzte der Professor. »Sie war eine Nummer zu groß für den Jungen, denn das war er, ein Junge, wenn Sie ihn kannten. Das hat er nicht verkraftet.«
    |114| Johanna hätte ob der einfachen Lösung laut auflachen können, Marquardt sah es ihr an.
    »Die Comédie Humaine ist leider nicht sehr komisch, und wenn es sich so verhält, lieber Kollege, dann sollten wir uns zumindest um das lebende Opfer kümmern.«
    Der Kollege säbelte wieder an seinem riesigen Hamburger herum, und aus der Seite quoll der rote Ketchup.
    Er erinnerte Johanna an Blut, dickes Blut. Du bist, was du isst, das hatte Carl immer gesagt. Sein Spruch passte. Für ihr Gegenüber schien alles einfach zu sein. Was er nicht verstand, las er ab, und ansonsten schien es nur das Offen sichtliche zu geben, das Messbare.
    »Wie könnte so eine Hilfe aussehen, Herr Professor Marquardt?«
    Marquardt lächelte Johanna an, dankbar, dass man zum Praktischen überging. »Zuerst lassen Sie bitte den Titel weg, er   ... er macht mich so   ... alt.«
    Selbstironisches Eingeständnis von Eitelkeit kann immer auf Zustimmung hoffen, dachte Johanna, und er hat die Lacher auf seiner Seite.
    »Ich werde mit dem Dekan besprechen, was wir von Seiten der Hochschule unternehmen

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