Riesling zum Abschied
überall her, von Argentinien und Australien, Kalifornien und Südafrika. Man wollte weiche, volle, geschmeidige Weine, es kam das schreckliche Wort auf vom ›einfach zu trinkenden Wein‹ – was ist das? Haben Sie mal von einem einfach zu essenden Brot gehört?«
Johanna wusste nicht, ob sie die Frage beantworten sollte, oder ob er sie gestellt hatte, um sie als Einleitung für den nächsten Exkurs zu nutzen. Das alles bestätigte ihren Eindruck, dass gerade der Einsatz von Chemie und Maschinen zu dieser Entwicklung geführt hatte. Sie wusste nicht, was ein einfach zu trinkender Wein war, sie wusste nur, was ihr schmeckte, und inzwischen vielleicht auch ein wenig mehr.
»Wer den Riesling wieder nach vorn gebracht hat, waren nicht die Öko-Winzer, das waren Leute, die sich Qualität zum Ziel gesetzt hatten. Sie wussten, was in dieser Rebsorte steckt, dass eine betonte Säure einen Wein lebendig macht, wie man das Aroma der Trauben bewahrt und dass die Lage des Weinbergs ganz entscheidend ist – und nicht, ob ich |120| Spritzmittel verwende, ob ich die Unterstockarbeiten mechanisch oder chemisch durchführe. Und unsere Versuche haben gezeigt, dass die Rückstände von Pflanzenschutzmit teln größtenteils unterhalb der Nachweisgrenze liegen ...«
Johanna stand auf und lächelte, ihr Wissen reichte an diesem Punkt nicht weit genug, um Marquardt Paroli zu bieten. »Nur weshalb stellten viele Winzer dann ihre Betriebe um?« Sie erwartete keine Antwort. »Ich werde am besten mal eine Ihrer Vorlesungen besuchen«, sagte sie diplomatisch.
»Ich habe einen anderen Vorschlag. Wie wär’s mit einer Weinprobe? Wir treffen uns regelmäßig mit Freunden bei diversen Winzern, um deren Weine kennenzulernen. Hätten Sie Interesse?«
Den Vorschlag sollte Johanna sich überlegen, sie käme ein wenig aus ihrer Isolation heraus und auf andere Gedanken. »Gern, Herr Marquardt. Sagen Sie mir rechtzeitig Bescheid.«
»Übermorgen treffen wir uns in der WineBank beim Weingut Ress in Hattenheim. Ein Freund von mir hat sein Depot dort, ein flüssiges ...« Wenn Marquardt lachte, sah er noch besser aus.
Johanna war dankbar für den Vorschlag, sie konnte ihre Argumente schärfen und freute sich, wieder mehr unter Menschen zu kommen. »Ist unser Tischgenosse von eben auch dabei?«
»Sie meinen Herrn Florian?« Marquardt verzog das Gesicht. »Nicht ganz Ihr Fall, der Herr, nicht wahr? Nein, er ist nicht sehr ... gesellig. Er lebt in Frankfurt, er ... hat andere Interessen.«
Florian hieß er. Er war ihrem Blick während des Essens stets ausgewichen. Den Namen würde Johanna von jetzt an nicht mehr vergessen. Ganz vernarrt hatte er das Foto von Alexandra angestarrt.
|121| 7
Das Polizeipräsidium lag in der Nähe des Sportzentrums, wo Thomas seit Beginn seines Studiums ein Mal in der Woche Karate und Tai-Chi trainierte. Die asiatischen Trainer legten Wert auf den Geist, mit dem man kämpfte, die deutschen auf Muskelkraft und Körperkontakt. Beweglichkeit, Schnelligkeit und der Gleichgewichtssinn, dafür brauchte er ein Betätigungsfeld, da er den Tag über in Hörsälen herumsaß und sich höchstens nach einem heruntergefallenen Kugelschreiber bückte. Die Abende verbrachte er über Skripte gebeugt oder starrte Bildschirme an. Seit er die Winzerlehre wegen des Studiums abgebrochen hatte, fehlte ihm der körperliche Ausgleich, die Wochenenden auf dem Weingut reichten ihm bei Weitem nicht.
Im Präsidium hatten Regine und er sich nach Herrn Altmann durchgefragt, dem zuständigen Ermittlungsrichter für den Mord an Alexandra Lehmann – und damit war er auch für Manuels Untersuchungshaft verantwortlich. Wenn dieser Mann genauso borniert war wie Sechser, dann standen ihnen und Manuel schlimme Zeiten bevor. Es würde nicht leicht sein, den Apparat von seiner Unschuld zu überzeugen. Allein schon an den Richter heranzukommen, um in der Sache gehört zu werden, war schwierig genug gewesen.
Sein Vater hatte ihm am Telefon noch einmal eingeschärft, sich diplomatisch zu verhalten. Er sollte sich weder |122| von seinen überschäumenden Gefühlen noch seinem Gerechtigkeitssinn leiten lassen. Für Thomas war es der Gipfel an Willkür und Dummheit, Manuel einzusperren, weil so der Mörder seine Spuren weiter verwischen konnte. Und wie sollte Manuel im Knast sein Pensum auf dem Klavier absolvieren? Der Termin für seinen Auftritt rückte näher.
Thomas hätte bereits bei den dusseligen Fragen, was sie auf dem Präsidium wollten,
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