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Riesling zum Abschied

Riesling zum Abschied

Titel: Riesling zum Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Grote
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der eine solche Aussage mit derartiger Selbstsicherheit traf, hatte Johanna lange nicht mehr erlebt. »Sind wir wieder beim Glauben angelangt?«, fragte sie provozierend. »Dann sind wir Umweltschützer lediglich Häretiker?«
    »Wir sind bei einem uralten Menschheitsproblem geblieben, und das heißt Selbstüberschätzung. Für wie bedeutend hält sich der Mensch, dass er glaubt, das Klima eines Planeten beeinflussen zu können? Schwankungen hat es immer gegeben, vor Urzeiten war hier ein Meer, vor zehntausend Jahren wurde diese Region durch die Eiszeit verändert. Es war bitter kalt, jetzt schlägt das Pendel zur anderen Seite. Im Rheintal war es zu Zeiten der Römer so warm, dass Tausende am Sumpffieber, an der Malaria starben.«
    »Und die Flutkatastrophe in Australien – und Tornados in Nordrhein-Westfalen?«
    »Dafür gibt es einfache Erklärungen. Früher wussten wir nichts davon, aber durch moderne Kommunikationsmittel erfahren wir sogar, wenn in China der berühmte Sack Reis umfällt.« Marquardt schüttelte lachend den Kopf. »Und was die chemische Belastung angeht – was hat uns den Wohlstand gebracht, den Hunger verringert und ein längeres Leben beschert? Die Chemie!«
    »Nur schlägt inzwischen das Pendel wieder zur anderen Seite aus.« So schnell gab Johanna sich nicht geschlagen. »Heute vernichtet sie andere. Neonicotinoide heißen die Grundchemikalien für viele Schädlingsbekämpfungsmittel. Bei Raps, dessen Anbau ich selbst statt einer Brache als Fruchtfolge und als Öllieferant empfehle, haben diese Stoffe zum Sterben von Zigtausenden von Bienenvölkern geführt, was jetzt mit E U-Geld erforscht wird. In den Futtermitteln |118| ist Dioxin   – Ihre Argumente, Herr Professor, habe ich hundert Mal gehört.«
    Diese Debatte hing Johanna zum Halse heraus, aber die Chemieindustrie wurde nicht müde, sie mit ihrem Geld wachzuhalten. Würde sie weiter dagegen halten, würde Marquardt ihr eine tendenziöse Argumentation unterstellen. War er auf die zehntausend Dollar scharf, die das American Enterprise Institute Forschern in Aussicht stellte, die den neuesten U N-Klimabericht widerlegten? Glücklicherweise gab es genügend Lehrkräfte an der FH, die anders dachten. Sonst wäre sie kaum hier angenommen worden. Vielfalt hatte ihren Preis, und der hieß Toleranz, auch wenn man Kopfschmerzen davon bekam.
    »Der Anteil der Öko-Winzer im Rheingau ist minimal, Frau Kollegin, es sind fünfzehn von vierhundert, absolut unbedeutend. Wichtig ist es, wirtschaftlich zu denken, und nicht überall, wo Öko draufsteht, ist auch Öko drin. Es bedeutet dem Verbraucher nichts, zumindest denen nicht, die auf Qualität setzen.«
    »Einige wichtige Winzer wie Hans Lang und Peter Jakob Kühn sind dabei. Und der Anteil an ökologisch produzierten Lebensmitteln wächst täglich   ...«
    »...   der Anteil an Fälschungen auch«, konterte Marquardt. »Riesling hat durch den Temperaturanstieg nur gewonnen. Die Trauben reifen besser. Wir haben Reifeperioden von bis zu hundertzwanzig Tagen. Die viel beschworene Säure war letztlich nur ein Ergebnis des schlechten Wetters und einer zu frühen Lese. Ein guter Riesling muss nicht sauer sein, ich kann das Gerede vom trockenen Wein nicht mehr hören.«
    »Aber größere Hitze lässt den Wein schneller reifen«, warf Johanna ein. »Dabei ist die lange Reifeperiode beim Riesling ein entscheidender Faktor.«
    »Oh, Sie wissen Bescheid? Respekt. Ihr Einwand ist richtig, da kann die Rebsorte zeigen, was in ihr steckt, an |119| Aromen, an Frische und an aromatischer Fülle.« Der Professor war blitzschnell umgeschwenkt. »Kaum eine andere Rebsorte kann den Boden, das Terroir in seinem Geschmack derart widerspiegeln wie Riesling. Pinot noir, zu deutsch Spätburgunder, mag die Königin unter den Trauben sein, aber Riesling würde ich den König nennen. Ich spreche natürlich von den besonderen Gewächsen, nicht von Industrieweinen. Wir erreichen heute wieder Gefilde, in denen wir mit unserem Riesling vor hundert Jahren gesegelt sind. Damals waren diese Weine weltweit geschätzt und erzielten exorbitante Preise. Dann kam die katastrophale Mode der künstlichen Süße, ein Wein für kindliche Gemüter, um Geld zu verdienen. Riesling in der blauen Flasche: Kröver Nacktarsch und Liebfrauenmilch. Wem es schmeckt   ... Nichts ist dagegen einzuwenden, aber man gewinnt nichts, wenn man einen Wein verwässert und ihm seinen Charakter nimmt. Dann brach die Chardonnay-Welle über uns herein, von

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