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Riesling zum Abschied

Riesling zum Abschied

Titel: Riesling zum Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Grote
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selbstverständlich über jeden Verdacht erhaben, nicht wahr?« Sie hasste es, um den heißen Brei herumzureden. Sie wollte sich in Ruhe dem Auflauf widmen. Leider war er zu heiß, die Küchenfee hatte ihn gerade aus dem Ofen genommen.
    |110| Sie sah sich in dem Saal um und überlegte, an einen Tisch draußen auf der Terrasse vor der Mensa zu wechseln, aber jetzt zu gehen wäre als Flucht oder Beleidigung aufgefasst worden. Außerdem schadete ein wenig Geplauder mit den Kollegen nichts. Und Professor Dr.   Marquardt war ein ziemlich gut aussehender Mann.
    Sein Kollege, Fachmann für Weinchemie, glich hingegen mehr einem Einzeller, aber das war, wie sie sich zu erinnern meinte, der Spitzname einiger Studenten für den Botaniker, bei dem die angehenden Önologen etwas über das Wesen der Reben und ihre Genetik lernten.
    Marquardt mochte die Fünfzig knapp überschritten haben, sein Gesicht war markant, Falten spielten um die freundlichen braunen Augen, sein Haar war voll, er trug es länger, und an den Schläfen war es ergraut. Er war gebräunt, gerade so, als brächte er die meiste Zeit im Weinberg zu. Vielleicht war dem auch so, wenn er sich um Pflanzenschutz kümmerte. Er hatte kräftige, gepflegte Hände, die sicher gut zupacken konnten.
    »Früher nannten mich die Studenten die chemische Keule«, sagte er und aß sein Rumpsteak mit Genuss. »Sie haben davon gehört? Heute sind Spitznamen aus der Mode gekommen, leider. Wir hatten ja noch nicht das Vergnügen, Frau Doktor.«
    »Danke für die Lorbeeren«, sagte Johanna und blickte nicht auf. »Aber mehr als ein Diplom kann ich nicht vorweisen.«
    »Wieso
nur
? Wenn Ihre Qualifikation nicht überdurchschnittlich wäre, hätte unser Dekan Sie nie für einen Lehrauftrag herangezogen. Haben Sie sich eingelebt?«
    »Das dauert eine Weile«, sagte Johanna, die eigentlich in Ruhe essen wollte, »ich bin nur zweimal wöchentlich hier, da braucht es Zeit, bis sich ein familiäres Gefühl einstellt. Es gefällt mir sehr gut. Die Menschen, die mit Wein zu tun haben, sind freundlich, umgänglich, sie genießen gern, sowohl |111| den Wein wie das Essen.« Damit war Marquardt gemeint, er zeigte wirklich guten Appetit.
    »Wie nett Sie das sagen. Aber leider ist dort, wo die Sonne scheint, auch meistens Schatten.«
    »Was meinen Sie damit?« Johanna sah die beiden Kollegen mit großen Augen an. Es war besser, die anderen kommen zu lassen, als sich mit Vermutungen vorzuwagen. Die Dumme zu spielen fiel ihr nie schwer. Ein dunkles Kapitel in ihrer Laufbahn war die Arbeit für eine Consultingfirma, für die sie ökologisch fragwürdige Projekte umgeschrieben hatte, damit sie genehmigt wurden. Die Kunst der Verstellung, die sie dort gelernt hatte, war ihr heute von Nutzen.
    »Ich meine dieses schreckliche Ereignis um zwei unserer Studenten.« Der Chemiker, dessen Name Johanna noch immer nicht einfiel, machte ein besorgtes Gesicht. Es wirkte aufgesetzt, als wenn der Mord ihn kaltließe. Er wirkte trocken, unscheinbar, durch und durch Naturwissenschaftler mit dem Innenleben eines Rechners. Dieser Eindruck wurde dadurch verstärkt, dass sein Gegenüber ein Beispiel für Lebenskraft bot und zugleich Engagement für die Sache ausstrahlte.
    »Es ist traurig, so eine Geschichte, maßlos traurig. Da steht man den jungen Leuten jahrelang gegenüber – und was weiß man von ihnen? So gut wie nichts. Wenn sie wegen einer Klausur jammern, diese oder jene Gründe anführen, weshalb sie die Sache verpatzt haben, dann treten sie für eine Viertelstunde aus der Masse, sie haben eine Stimme, sie haben Gedanken, ein Gesicht, da steht ein junger Mensch mit seinen Hoffnungen, na ja, auch mit seinen Defekten. Dafür sind die jungen Leute, anders als wir, kaum verantwortlich zu machen. Was mag in dem Jungen vorgegangen sein? Welches Drama hat sich zuvor abgespielt? So etwas baut sich auf. Eine so gut aussehende junge Frau wie diese Alexandra Lehmann, die möglicherweise eine grandiose Zukunft vor sich gehabt hatte, allein schon wegen ihres Aussehens«, er verdrehte die Augen.
    |112| Wo ist die Grenze, fragte sich Johanna in diesem Moment, wo endet die allgemeine Beileidskundgebung, und wo begann die persönliche Betroffenheit? Dabei empfand sie dieses Wort so abgenutzt wie die schäbige Aktentasche des Chemikers.
    »Kannten Sie den Verdächtigen, Herr Professor Marquardt? Hatten Sie näher mit ihm zu tun?«
    Der Professor runzelte die Stirn. »Ein wenig besser als mein Kollege kannte ich ihn schon. Es war

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