Riesling zum Abschied
denn alle Mühe umsonst?«
»Jeder zählt«, meinte der Architekt, »ich baue auch keine energieintensiven Häuser mehr, selbst wenn die Kunden das wollen.«
»Dafür tun es dann andere«, meinte Johanna. »Es ist aussichtslos. Aber hier im Süden habt ihr es leichter.«
»Bei uns hängt die Zukunft vom Wasser ab.« Der Winzer sah bei diesen Worten gar nicht glücklich aus. »Manche bekommen zu viel davon, wir zu wenig. Und wenn es kommt, dann in Mengen, die uns die Weinberge wegschwemmen.«
Das brachte sie zurück zur Kohlenstoffbilanz. Für einige Experten war die klimaneutrale Weinproduktion eine Modeerscheinung, für Meckling jedoch nicht, andernfalls hätte er Johanna nicht engagiert. In Deutschland wurde alles dem Winzer überlassen, in Frankreich hingegen bemühten sich |220| die Winzerverbände sowohl von Bordeaux wie der Champagne um gemeinsame Maßnahmen zur Verringerung von CO2. Da waren die bei der Herstellung des Weins anfallenden Emissionen erfasst worden, über das Verbrennen des Rebholzes nach dem Schnitt im Winter bis zur endgültigen Entsorgung aller Verpackungen. Sie machten den meisten Dreck.
Man diskutierte eine andere Anordnung der Gärtanks, die Verlagerung des Produktionsprozesses von der Waagerechten in die Senkrechte, um die Schwerkraft auszunutzen, statt Pumpen einzusetzen, die dadurch entstehenden Kosten eines Umbaus und der dazu nötige Energieeinsatz.
Die Hitze war kaum erträglich, die Sonne biss in die Haut, das grelle Licht stach in die Augen. Ohne Sonnenbrille ging Johanna in dieser Woche nicht aus dem Haus, und sie trug den Strohhut, den die Dame des Hauses ihr geliehen hatte. Den Hals und die Schultern bedeckte sie mit einem Seidenschal und trug langärmlige Blusen. Als der Architekt zu Besuch gewesen war, hatte sie den Fehler begangen, ein leichtes Sommerkleid zu tragen und offene Sandalen. Dabei hatte sie sich einen schmerzhaften Sonnenbrand auf den Fußrücken zugezogen. Es gab einen kleinen Laden im Ort, wo sie versuchen wollte, eine Feuchtigkeitscreme zu bekommen, dabei wäre eine Brandsalbe sinnvoller gewesen.
Sie betrat den verwinkelten Kramladen und atmete in der Kühle des dreihundert Jahre alten Gemäuers auf, gleichzeitig strömten hunderterlei Gerüche auf sie ein, wobei die von Reinigungsmitteln am deutlichsten hervortraten. Hier gab es alles, von Fliegenfängern über Schreibhefte bis zu Artischocken. Auch die gesuchte Lotion war im Angebot. Es gab nur eine Kasse mit einem defekten Transportband, und vor ihr nestelte eine alte Dame Geldscheine aus dem Portemonnaie. Für eine Landfrau war sie zu elegant, es schien, dass sie sich eigens für den »Stadtgang« zurechtgemacht hatte. Als sie Johanna warten sah, beeilte sie sich, ihren |221| Einkauf in zwei großen Taschen unterzubringen, dabei fiel ihr ein Päckchen Margarine vom Band, platzte auf, und schmierig quoll das weiche, gelbe Fett aus der Packung und verteilte sich auf den Fliesen.
»Oh, entschuldigen Sie ...« Die alte Dame hielt sich entsetzt die Hand vor den Mund, dann wiederholte sie die Entschuldigung auf Französisch: »Pardon, Madame,
excusez-moi! Je
...« Sie stockte, als müsste sie nach Worten suchen, sah sich hilflos um und wollte sich bücken, um das Malheur zu beseitigen. Da brachte die Kassiererin bereits eine Rolle Küchenpapier, und gemeinsam mit Johanna beseitigte sie kniend den gewaltigen Fettfleck.
Als hätte sich ein furchtbares Unglück ereignet, rang die alte Dame um Fassung. »Es tut mir ...
j’en suis désolée
.«
Vor Schreck hatte sie auf Deutsch begonnen und sich auf Französisch korrigiert. War das die Frau, von der Meckling gesprochen hatte? Johanna stopfte die benutzten Tücher in eine Plastiktüte.
»Machen Sie sich nichts draus, es ist alles sauber.« Johanna hatte ebenfalls Deutsch gesprochen, und auch die Kassiererin lächelte, denn beiden kam die Reaktion überzogen vor, oder zeigte sich da ein angegriffenes Nervenkostüm?
Ein Ausdruck der Freude verwandelte das Gesicht der alten Dame. »Sie sind Deutsche? Nein, wie wunderbar. Was verschlägt jemanden wie Sie hierher in die Dentelles?«
»Die Arbeit«, sagte Johanna, und während sie beim Einpacken und der Verkäuferin beim Aufräumen half, erklärte sie kurz den Grund ihres Aufenthalts. »Aber in drei Tagen bin ich schon wieder weg.«
»Sie müssen mich unbedingt vor Ihrer Abreise besuchen kommen, auch wir bauen Wein an. Mein Name ist Bernard, Elisabeth Bernard. Alle nennen mich ganz einfach
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