Riesling zum Abschied
Leben, regen den Kreislauf an, und die Tannine von hier sollen gut sein gegen Verkalkung und Arteriosklerose. Was meinen Sie? Stimmt das? Sie haben doch studiert?«
Johanna verstand es, das Gespräch auf andere Themen zu bringen, um Madame Elisabeth nicht in ein weinseliges Tief abgleiten zu lassen, und erfuhr durch ihre gezielten Fragen einiges mehr über Land und Leute.
Als krönender Abschluss wurde ein dezent duftendes Riesling-Sorbet gereicht. »Damit Sie sich ein wenig heimisch fühlen«, meinte Madame, »und es zeigt die Kochkunst meiner Aufpasserin.« Die im halbdunklen Nebenzimmer wartende Frau wurde gerufen, um den Wein zu holen, von dem Johanna noch ein Glas eingeschenkt bekam. Die grüne Schlegelflasche war ihr vertraut, der Name des Weingutes nicht. »Davon hat mein Sohn beim letzten Besuch einige Flaschen mitgebracht.«
Es war längst dunkel und damit unmöglich, in dieser Einöde |227| den Heimweg zu finden. Madame Elisabeth wollte unbedingt, dass Johanna blieb, das wunderschöne Gästezimmer habe ihr Sohn eingerichtet, genau wie das ganze Haus – »hat er nicht einen ausgezeichneten Geschmack?«
Madame trank immer mehr, Johanna wollte nur weg, auch weil sie sich gruselte. Sie rief Meckling an, und er versprach, sie zu holen, damit sie hinter ihm herfahren könne.
»Aber, Kindchen, Sie ... kommen morgen doch wieder?« Das Sprechen fiel Madame Elisabeth schwer, sie stand auf und hielt sich an der Kante des schweren Esstisches fest, sie schien plötzlich entsetzlich müde, sie wollte schlafen, und ihre Haushälterin kam, um ihr das Bett aufzudecken, wie sie es nannte.
»Wenn Sie also nicht mit mir frühstücken wollen, dann schreiben Sie mir.« Madame Bernard lallte nicht, aber es bereitete ihr Mühe, die Worte richtig aneinanderzureihen. »Ich würde mich riesig über einen Brief freuen. Eine Karte genügt, damit ich weiß, dass Sie gut heimgekommen sind – ja?«
Sie stakste zu ihrem Sekretär, klappte ihn auf, griff nach Block und Bleistift, bemüht, die Haltung zu bewahren. Während sie ungelenk schrieb, sagte sie langsam ihren Namen vor sich hin: »E-li-sa-beth Mar-quar ... ach, ich – ich bin ganz durcheinander«, stammelte sie, »ich Dummchen. Das ist der Wein. Ver-verzeihen Sie, jetzt hätte ich Ihnen fast den Namen meines ersten Mannes aufgeschrieben. Ich heiße ja seit Langem schon Bernard ...«
Johanna wartete in der Stille, betrachtete die nächtlichen Schatten der weiten Ebene und lauschte den Zikaden. Sie hätte sich abgestoßen fühlen können, doch Madames Anblick schmerzte sie, in ihrer Hoffnungslosigkeit und Abhängigkeit vom Wein – und vom liebevollen und treu sorgenden Sohn. Sie spürte einen zunehmenden Widerwillen. Was war Schicksal, was war eigene Verantwortung? Und war das Zufall, dass sie Marquardt geheißen hatte und aus Mainz stammte?
|228| 13
»... eine Gemeinheit, eine bodenlose Sauerei!« Thomas saß am Küchentisch und ballte die Fäuste. Seine Wut trieb ihm die Tränen in die Augen.
»Glaubst du wirklich, dass Vormwald den Termin absichtlich verschlampt hat?«, fragte Regine vorsichtig, weil sie nicht zur Zielscheibe seiner Wut werden wollte. »Ich kann mir das kaum vorstellen, das wäre ... er kann es vergessen haben, oder etwas ist dazwischengekommen.«
Thomas hatte das Gefühl, auf der Stelle zu treten, nein, alles bewegte sich sogar rückwärts, nirgends kam er voran. Aber dafür konnte Regine nichts. Was er ihr jedoch vorwarf, war ihr Desinteresse an Manuels Lage und dass sie sich diesem Ignoranten von Thorsten an den Hals geworfen hatte und seinetwegen ihn und ihre gemeinsame Wohnung mied. Wenn sie richtig verknallt wäre, würde er es verstehen, wenn man an nichts anderes mehr dachte, wenn einem beim Anblick des anderen die Knie weich wurden, dann ja. Aber sie schien nicht glücklich zu sein, wenn sie von diesem Thorsten kam, sondern wirkte angespannt.
»Wie stellst du dir unser Zusammenleben in Zukunft vor? Wie soll es hier weitergehen? Wir suchen uns jetzt sang- und klanglos einen neuen Mitbewohner und führen den Laden weiter so wie bisher, sitzen abends bei Spaghetti Bolognese und einem Chianti am Tisch, bei Fisch ist es dann sinnigerweise ein Rheingau-Riesling, hecheln die Dozenten |229| durch – und Manuel geht vor die Hunde? Du bist nur noch bei Thorsten, und niemand nimmt mehr Anteil am Leben des anderen? Regine, so will ich das nicht! Dann suche ich mir lieber ein Zimmer – und zwar sofort.«
»Du siehst nur immer dich und
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