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Riesling zum Abschied

Riesling zum Abschied

Titel: Riesling zum Abschied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Grote
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Johanna und flüsterte. »Insgeheim betrachte ich sie als Aufseherin. Sie ist die Wärterin meines goldenen Käfigs.«
    Nach dem Fisch trug die Wärterin einen Rehrücken auf, die Portionen waren glücklicherweise so bemessen, dass Johanna sich danach nicht genudelt vorkam. Dazu gab es drei verschiedene Weine, auch Madame Elisabeth wollte zeigen, was die Domaine produzierte. Johanna meinte, eines der Etiketten auf den Flaschen schon mal gesehen zu haben, oder war es die Prägung auf dem Flaschenhals? Auch die aus den Nachbargemeinden Vacqueyras und Châteauneuf-du-Pape trugen ein
écusson
, wie Madame Elisabeth es nannte. In Gigondas war es ein Wappen mit Jagdhorn und Olivenzweigen.
    Während Johanna an allen Weinen nur nippte, trank Frau Bernard mit Genuss und wurde gesprächiger. Sie litt darunter, so wenig Gesellschaft zu haben, und als Johanna fragte, weshalb sie zu der Familie Meckling keinen Kontakt pflege, meinte sie nur, dass ihrem Sohn das nicht recht sei. Schließlich sei er der Herr im Hause. »Und danach habe ich mich zu richten.«
    Das sah Johanna anders. »Sie lassen sich Ihren Lebensstil vorschreiben und mit wem Sie Umgang pflegen?«
    »Sie verstehen meine Situation nicht, Kindchen.«
    Johanna überhörte das »Kindchen«, das hatte lange niemand zu sagen gewagt, und von jedem anderen hätte sie es sich auch verbeten. Aber Frau Bernard erregte ihr Mitleid. Es gab niemanden, mit dem sie sich unterhalten konnte, sie |225| hatte niemanden für Ausflüge, wie sie sagte, außerdem wolle ihr Sohn hier keinen Besuch aus Deutschland, aber sie hatte eine riesige Bibliothek und Videothek, beides natürlich von dem fürsorglichen Sohn eingerichtet. Im Wohnzimmer stand ein Flachbildschirm von ähnlichen Ausmaßen wie das Panoramafenster. Sie hatte alles, auch das Haus war ein Traum und wunderbar gelegen, es gab einen kleinen Pool, den sie auch nutzte, »doch was nützt das alles ohne Menschen?«
    »Welche Situation verstehe ich nicht«, fragte Johanna nach einer langen Pause.
    »Ich hatte Pech im Leben. Aber ich will Sie nicht mit meiner Lebensgeschichte langweilen. Es gibt interessantere.«
    »Sie langweilen mich beileibe nicht«, sagte Johanna, »ganz im Gegenteil, erzählen Sie   ...«
    »Wenn es Ihnen nichts ausmacht?« Madame Elisabeth verzog das Gesicht, und erst als Johanna mehrmals genickt hatte, sprach sie weiter. »Ich habe mich von meinem ersten Mann getrennt, vielleicht war das der Fehler, das hätte ich nicht tun sollen. Er hat damals sofort in die Scheidung eingewilligt, weil ich, verstehen Sie, weil ich auf alle Ansprüche verzichtet habe, nur um aus der unerträglichen Ehe herauszukommen. Ich hatte einen Neuen, wissen Sie?« Sie lächelte verschmitzt. »Und wir waren schrecklich verliebt und sehr glücklich. Wir haben geheiratet, wir waren ein Herz und eine Seele, unser Leben war wunderbar, bis er krank wurde, sehr krank, sterbenskrank – Krebs, verstehen Sie? Unheilbar und weit fortgeschritten. Er war selbstständig. Er konnte nicht mehr arbeiten, seine Firma ging bankrott, er verlor alles, auch das Haus, und was sonst noch da war, holten sich die Ärzte und seine Exfrau und die Kinder aus erster Ehe. Und ich stand da – im Nichts, und auch in meiner Trauer allein. Da half mir glücklicherweise mein Sohn. Er bot mir an, mir hier mein Heim zu schaffen, er sagte, dass er mich brauchen würde, um seine Geschäfte zu beaufsichtigen, was ich auch tue. Ich kümmere mich um |226| das Büro, wohl auch ganz gut, er ist sehr mit mir zufrieden.« Als sie das sagte, lächelte sie sogar wieder, fiel dann aber wieder in ihre leichte Schwermut zurück.
    »Ja, und so lebe ich hier – im Grunde von Almosen – in einem wunderbaren grünen Gefängnis unter dem grandiosen Sternenhimmel im südlichen Frankreich, bis ich eines Tages hier sterbe. Mein Sohn hat versprochen, dass er mich, wenn es Zeit fürs Pflegeheim wird, nach Deutschland holt. Es könnte hier viel schöner sein, wenn mein Sohn mit seiner Frau und den Kindern öfter käme, aber er telefoniert nur einmal die Woche mit mir   ... Kindchen, Sie trinken ja gar nichts!«
    Sie griff nach den Flaschen und schenkte nach, dann rief sie nach der Haushälterin und bat darum, die
mousse au chocolat
zu servieren. »Das mögen Sie doch? Das mögen alle. Ich sehe, Sie essen gern und trinken gern. Das freut mich. Mein Sohn sagt, ich soll mich zurückhalten, gerade mit dem Wein, aber Rotwein ist gesund, da sind Antioxidantien drin, und die schenken ein langes

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