Riesling zum Abschied
Ausdruck brachten, sondern auch Mineralität und Eleganz. Die Erinnerung an den Nachmittag in der WineBank kam hoch, wo sie mit Professor Marquardt, Waller und Rechtsanwalt Vormwald diese Weine probiert hatte. Wie dumm, dass sie sich die Namen nicht aufgeschrieben hatte, sie hätte sie probieren können und feststellen, ob sie hier genauso schmeckten. Umgebung, Licht, die Raumluft und das zuvor Gegessene, nicht zuletzt die Gegenwart anderer bestimmten, wie man einen Wein beurteilte.
Ein Wegweiser zur Domaine du Mont d’Or ließ sie den Weg finden, der letztlich in Schotter überging. Es war genug für heute, das Fahren hatte sie müde gemacht, der Tag war lang gewesen, sie war weit gereist, sie war hungrig und wollte raus aus der engen Kiste. Der Weg gabelte sich, führte links durch ein Tor auf niedrige Wirtschaftsgebäude zu. In |213| dem Dreieck zwischen den Wegen wuchs eine mächtige Zeder inmitten von blühendem Oleander, der Weg rechts führte zum privaten Teil des Gutes.
Dass Meckling mal Finanzmanager gewesen sein sollte, war für Johanna unbegreiflich. Der Mann war völlig verwildert, er wirkte wie ein Bürgerschreck. Er hatte das sonnenverbrannte Gesicht eines Bauern, die Hände eines Zimmermannes, er ging, als trüge er einen Sack auf den Schultern. Sein langes, teils ergrautes Haar flog ihm um den Kopf, es verdeckte sein Gesicht, und als er das Haar zurückwarf, kamen sehr listige Augen zum Vorschein. So stellte Johanna sich einen zufriedenen Menschen vor. Wie oder mit wem er hier lebte, hatte sie bislang nicht erfahren.
Meckling begrüßte sie herzlich, schnappte sich ihren Koffer wie ein Spielzeug und bedeutete ihr zu folgen. Sie gingen rechts am Haus vorbei durch einen Garten bis zu einem Treppenabsatz, dem Eingang zu ihrem Gästeapartment. Auf diesen Stufen werde ich heute Abend sitzen, sagte sich Johanna, ein Glas Wein neben mir, in die Sterne schauen und warten, dass der Mond aufgeht. Ich werde einfach nur dasitzen und nichts tun, nichts denken, mir nichts vornehmen, mir nichts wünschen ...
»Täusche ich mich, oder sind Sie bereits angekommen?«, fragte Meckling und lächelte. »So geht es vielen, wenn sie ankommen. Aber nur wenige verstehen, von hier neben dem Wein auch das Essentielle mitzunehmen.«
»Und das wäre?«
»Klarheit, weiter nichts. Aber dazu später mehr. Schauen Sie sich um, Sie können hier überall herumgehen, alles rings herum gehört uns. Ich hoffe, Sie haben feste Schuhe mitgebracht, es gibt ein paar kleine Vipern.«
Er öffnete die Tür zum Apartment. Es erinnerte sie an das auf dem Weingut der Achenbachs in der Pfalz, nur dieses hier war größer, und sowohl Tür wie Fenster hatten Mückengitter, und es duftete nach Lavendel. Wie wunderbar, |214| dachte Johanna, man kann nachts alles offen lassen. Die Domaine du Mont d’Or und ihre Umgebung trafen so sehr ihr Innerstes, dass sie sich fragte, ob sie für ihre Arbeit überhaupt ein Honorar berechnen dürfe oder ob sie fürs Hiersein zahlen müsse.
Zum Abendessen holten sie Mecklings Zwillinge auf die Terrasse, Yvette und Theodor der Zweite, Theodor der Erste war sein Großvater gewesen, angeblich ein starker Typ, der Opa, wie der Achtjährige meinte, er würde in seine Fußstapfen treten. Oben wartete auch Gesine. Johanna hatte erwartet, dass Mecklings Frau Französin wäre, aber die Mutter seiner Kinder kam aus Hamburg, und sie war um vieles jünger als er. Die Noch-Ehefrau war nach seinem »Abdriften ins Hippietum« in Lübeck geblieben, lebte angeblich fürstlich von der Apanage und verbrachte ihre Zeit damit, ihren Noch-Ehemann zu verklagen.
Diese Eröffnung befriedigte Johanna insgeheim, ansonsten wäre es ihr zu viel heile Welt gewesen, und es hätte das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit verstärkt.
Gesine unterrichtete in der nächsten Schule, wo ihre Kinder den Tag über blieben, aber jetzt waren Ferien. »Wir haben es relativ schnell geschafft, uns einzufügen. Unsere Kinder sind hier geboren, sie sind Franzosen, sie haben im Dorf ihre Freunde. Wir haben uns gleich nach der Entscheidung, hier zu leben, einen Privatlehrer genommen, der unser Französisch auf Vordermann gebracht hat, und wir haben den Nachbarn gezeigt, dass wir gern hier leben.«
»Etwas Wichtiges kommt hinzu«, sagte Meckling, »ich habe meine Winzerkollegen häufig um Rat gefragt, sogar noch vor dem Kauf des Mont d’Or, und ich habe sie gefragt, ob sie was dagegen hätten, wenn wir uns hier niederließen.«
»Und?«, fragte
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