Riesling zum Abschied
Elisabeth.« Sie lachte nervös. »Ich würde mich riesig freuen, wenn Sie zum Tee kämen, von unserer Terrasse haben Sie einen traumhaften Blick ins Tal, oder Sie kommen zum |222| Essen? Abends? O ja, ich habe ein wunderschönes Gästezimmer, ganz separat, da hätten Sie Ihre Ruhe ... wenn Sie länger bleiben möchten. Ach ...«, ihre Freude fiel in einer Sekunde in sich zusammen. »Bitte verzeihen Sie. Sie sind bei Ihren Freunden sicher gut aufgehoben und zu beschäftigt, um einer alten, langweiligen Frau Gesellschaft zu leisten.«
In einer Mischung aus Mitleid und Zuneigung nahm Johanna die Einladung an. Es war auch Neugier. Was verschlug eine Frau von Ende siebzig hierher?
Auch Meckling zeigte sich später interessiert, mehr über die Nachbarin und ihre Domaine Grande Vallée zu erfahren, die seiner Meinung nach gut geführt wurde, gute Weine produzierte, aber deren Besitzer man nie zu Gesicht bekam. Dass es nicht die alte Dame war, war allen klar.
Am nächsten Abend nahm Johanna die Einladung wahr. Meckling hatte einen recht genauen Plan gezeichnet, denn in der Einöde zwischen Pinienhainen, Flächen mit dichtem Unterholz, Felsen und einem Gewirr von landwirtschaftlichen Wegen würde Johanna niemanden nach dem Weg fragen können und sich rettungslos verfahren. Schließlich fuhr er vorneweg und kehrte in Sichtweite der Domaine um. Er wollte nicht als indiskret gelten.
Madame Bernard war außer sich vor Freude. Sie strahlte, hatte sicher eine Stunde darauf verwandt, sich zu frisieren, sich zu schminken, und sich ein geblümtes Sonntagskleid angezogen. Der Tisch auf der von Wein überrankten Terrasse war gedeckt und mit Blumen geschmückt, als käme eine Präsidentin zu Besuch, darauf standen die teuersten Riedel-Gläser neben Fayencen von Gien – und selbstverständlich reichte Frau Bernard Johanna ein Glas Champagner zur Begrüßung, das die beiden Frauen an der Brüstung stehend mit Blick in die schier endlose Abendlandschaft genossen.
»Das habe ich nun jeden Tag«, seufzte die Gastgeberin, es klang bitter. »Andere Menschen zahlen ein Vermögen für |223| diese Aussicht. Ja, sie ist großartig, wunderschön, ein traumhafter Fleck in Gottes Natur – nur ich wäre lieber in Mainz geblieben. Aber mein Sohn wollte es so.« Um ihren Mund zuckte es. »Lassen Sie sich von mir nicht den Abend verderben, ich freue mich so sehr, dass Sie gekommen sind. Erzählen Sie von sich. Was genau ist eine Umweltingenieurin? Es klingt so interessant und neu für mich. Haben Sie Familie? Sie haben sicher Kinder? Wo leben Sie? Was macht Ihr Mann? Er übersetzt Literatur? Nein, wie interessant.«
Während Johanna ihre Fragen beantwortete, bemerkte sie, dass Frau Bernard in der Zeit, in der sie selbst noch nicht einmal ihr erstes Glas geleert hatte, sich zweimal nachschenkte, und erst nach dem dritten Glas schien sie ein wenig zur Ruhe zu kommen.
Es gab als Vorspeise einen Salat von Meeresfrüchten, und Johanna war von dem Wein irritiert, den Elisabeth – Frau Bernard bestand darauf, so genannt zu werden – dazu reichen ließ. Es war ein rebsortenreiner Clairette Blanche, eine in Südfrankreich nur noch an wenigen Stellen angebaute Sorte. Er fühlte sich dicht an, süßlich, viel schwerer als die gewohnten Rieslinge, und sie steckte die Nase ins Glas, um sich selbst zu testen. Würde sie die Aromen definieren können?
»Machen Sie es sich nicht so schwer, Kindchen«, sagte Madame Elisabeth, »das soll hier keine Prüfung sein. Dass der Wein in neuen Eichenfässern auf der Hefe ausgebaut ist, merkt man gleich. Die Aromen sind Birne, Akazie, manche riechen noch Äpfel heraus, andere wiederum Nüsse. Als ich hierherkam, verstand ich absolut nichts von Wein, aber die Arbeit hat mich zur Expertin gemacht. Von diesem Wein haben wir pro Jahr keine fünftausend Flaschen, mehr möchte mein Sohn davon nicht machen lassen.«
»Und von den Roten?«
»Oh, da gibt’s mehr, viel mehr, bestimmt hundertachtzigtausend.«
»Und wo werden die verkauft? In Deutschland?«
|224| »Nein, das will mein Sohn nicht. Er betrachtet sich als französischen Produzenten. Wir verkaufen ausschließlich in Frankreich.«
Den Namen des Fisches, der jetzt aufgetragen wurde, vergaß Johanna sofort. Sie interessierte sich mehr für die Frau, die sie bei Tisch bediente.
»Sie ist mit unserem Verwalter verheiratet. Wenn ich mit ihr rede, nenne ich sie meine liebe Freundin,
ma chère amie
, aber insgeheim«, sie beugte sich zum Sprechen weit zu
Weitere Kostenlose Bücher