Rigor Mortis: Thriller Ein neuer Fall für Roy Grace (German Edition)
auf diesen Mann. Er redete von ihrem Kind. Er ratterte fröhlich irgendwelche Prozentzahlen herunter, als ginge es um eine Sportwette. Er fühlte sich vollkommen hilflos. Davon hatte er nichts gewusst. So etwas stand nicht in den Büchern, die er gelesen hatte, und auch nicht in den Broschüren, die Cleo vom Gesundheitsdienst bekommen hatte. Darin ging es immer nur um perfekte Schwangerschaften und perfekte Geburten.
»Was würden Sie uns denn raten?«, fragte Grace. »Was würden Sie tun, wenn es Ihr Kind wäre?«
»Wenn wir es jetzt holen, ist die Gefahr, dass Ihr Baby stirbt, sehr groß. Falls es überlebt, muss es mehrere Monate in einem Inkubator verbringen, was dem Baby und der Mutter nicht guttut. Letztlich liegt die Entscheidung bei Ihnen, aber wir sollten Cleo für ein paar Tage hier behalten und versuchen, den Blutkreislauf zu stützen, was die Blutung hoffentlich stillen wird.«
»Kann ich danach denn wieder arbeiten?«
»Ja, aber nicht schwer heben. Und Sie müssen sich zwischendurch ausruhen. Außerdem müssen wir Sie für den Rest der Schwangerschaft überwachen.«
»Könnte so etwas wieder passieren?«, wollte Grace wissen.
»Ehrlich gesagt, die Chancen stehen fünfzig zu fünfzig. Ich arbeite hier mit einer Dreierregel. Bei der zweiten Blutung werde ich darauf bestehen, dass Ihre Verlobte bei der Arbeit noch kürzer tritt.« Er wandte sich an Cleo. »Bei einer dritten Blutung müssen Sie den Rest der Schwangerschaft im Krankenhaus verbringen.«
»Hat unser Baby irgendwelchen Schaden genommen?«, erkundigte sich Grace.
Der Gynäkologe schüttelte den Kopf. »Zu diesem Zeitpunkt besteht keine Gefahr. Nur ein Teil der Plazenta arbeitet nicht so gut. Die Plazenta ist ein Organ, genau wie eine Niere oder Lunge. Ein Baby kann auf einen Teil ohne weiteres verzichten. Ist die Plazenta jedoch zu sehr geschwächt, wächst es nicht richtig. Und kann in extremen Fällen sterben.«
Wieder drückte Grace Cleos Hand und küsste sie auf die Stirn, ihm war schlecht vor Angst. Verdammte Statistik. Prozentsätze. Fünfzig Prozent waren eine beschissene Quote. Cleo war so stark, so positiv, sie würden es gemeinsam durchstehen. DC Nicholas und seine Frau hatten im vergangenen Jahr etwas Ähnliches erlebt, und ihr Baby war gesund und kräftig zur Welt gekommen. »Alles wird gut, Liebes«, sagte er, doch sein Mund war trocken.
Cleo nickte und brachte ein düsteres Lächeln zustande. »Ja.«
Grace warf einen Blick auf die Uhr und wandte sich an die beiden Ärzte. »Könnten wir einen Augenblick allein sein? Ich habe gleich eine Besprechung.«
»Selbstverständlich.«
Die Ärzte verließen das Zimmer.
Roy drückte sein Gesicht an Cleos und legte ihr behutsam die Hand auf den Bauch. Er kam sich furchtbar unzulänglich vor. Verbrechern konnte er das Handwerk legen, doch in diesem Augenblick war er anscheinend nicht in der Lage, irgendetwas für die Frau, die er liebte, und ihr ungeborenes Baby zu tun. Es lag einfach nicht in seiner Macht. »Ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr.«
Ihre Hand strich über seine Wange. »Ich liebe dich auch. Du bist nass, regnet es noch?«
»Ja.«
»Hast du dir das Auto angesehen? Den Alfa?«
»Ich habe einen kurzen Blick darauf geworfen. Ich weiß nicht, ob er praktisch ist.« Das Wort Baby erwähnte er nicht.
Er hielt ihre Hand und küsste den Verlobungsring an ihrem Finger. Er verlieh ihm jedes Mal ein seltsames Gefühl, ein Gefühl grenzenloser Freude. Noch immer gab es ein großes Hindernis für ihre Heirat – die zahllosen Formalitäten, die erforderlich waren, um seine seit zehn Jahren vermisste Frau Sandy für tot erklären zu lassen.
Er ging peinlich genau dabei vor. Auf Anweisung der Behörden hatte er vor kurzem Anzeigen in den Lokalzeitungen und den großen Tageszeitungen aufgegeben und alle Leute, die Sandy in den vergangenen zehn Jahren eventuell gesehen hatten, gebeten, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Bisher hatte sich niemand gemeldet.
Ein befreundeter Kollege und seine Frau wollten Sandy im vergangenen Sommer in München gesehen haben, doch obwohl er seine Bekannten bei der deutschen Polizei verständigt hatte und selbst hingeflogen war, war nichts dabei herausgekommen. Inzwischen war er sich sicher, dass die beiden sich geirrt hatten. Dennoch hatte er es den Behörden gemeldet, die verlangten, dass er auch in deutschen Zeitungen inserierte, was er getan hatte.
Er musste auch eine eidesstattliche Erklärung über alle Personen abgeben, bei denen er
Weitere Kostenlose Bücher